. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem „Bonner General-Anzeiger“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ALEANDER MARINOS.
Frage: Herr Westerwelle, Sie sind seit einem Jahr Bundesaußenminister. Was bereitet Ihnen an diesem Amt besondere Freude?
WESTERWELLE: Dass man wirklich etwas gestalten kann. Wenn man Serbien etwa von einer unversöhnlichen Haltung gegenüber dem Kosovo abbringt und dadurch einen Beitrag dazu leistet, den westlichen Balkan zu stabilisieren, dann mag das auf den ersten Blick nicht allzu bemerkenswert sein. Tatsächlich herrschte hier aber vor etwas mehr als zehn Jahren Krieg, auf unserem eigenen europäischen Kontinent also.
Frage: Was an Ihrem Amt ist dagegen schwieriger und anstrengender, als Sie vorher erwartet haben?
WESTERWELLE: Die Zeitbelastung gerade am Anfang mit den vielen Antrittsbesuchen war enorm. Manches ahnt man vorher, aber man begreift es erst, wenn man es erlebt. Die Tätigkeit in einer Bundesregierung als Vizekanzler und Außenminister ist schon sehr fordernd, rund um die Uhr. Ich mache es dennoch sehr gerne.
Frage: Sie haben dieses Amt ja auch übernommen, weil Ihnen enge Parteifreunde ? auch die so genannten Alt-Vorderen ? dazu geraten haben. Haben Sie schon einmal gedacht, dass das ein Fehler gewesen sein könnte?
WESTERWELLE: Nein, das habe ich noch nicht einmal gedacht.
Frage: Wäre es nicht besser, Sie würden sich zwischen den Ämtern des Außenministers und des FDP-Bundesvorsitzenden entscheiden? Die harte Innenpolitik beschädigt den Amtsbonus des Außenministers.
WESTERWELLE: Ich glaube, dass diese strenge Trennung von Außen- und Innenpolitik von gestern ist. Ein Außenminister muss Deutschland in der Welt vertreten. Aber schon dann, wenn ich Außenwirtschaftspolitik betreibe, wenn ich dem deutschen Mittelstand im Ausland Chancen eröffne, kann man erkennen, dass Außen- und Innenpolitik miteinander verzahnt sind. Außerdem eröffnet der außenpolitische Blick neue Perspektiven für die Innenpolitik. Schauen Sie sich doch nur mal in Europa um: Die Schweiz feiert den längsten Eisenbahntunnel der Welt mit großer Begeisterung, und in Deutschland wird für einen Sackgassen-Bahnhof protestiert.
Frage: In der öffentlichen Meinung wird das erste Jahr Schwarz-Gelb ? vorsichtig formuliert ? kritisch gesehen. Wie sieht Ihre politische Zwischenbilanz aus?
WESTERWELLE: Die Regierungsbilanz des ersten Jahres ist sehr gut. Deutschland steht heute besser da als vor einem Jahr. Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt. Wie würden wir wohl zur Verantwortung gezogen, wenn es umgekehrt wäre?
Frage: Der aktuelle Wirtschaftsboom ist Ihr Verdienst?
WESTERWELLE: Natürlich ist das zuallererst der Erfolg der fleißigen Bürgerinnen und Bürger. Aber es ist auch das Ergebnis unseres Politikwechsels. Uns wurden ja schon fünf Millionen Arbeitslose prophezeit. Tatsächlich haben wir ein Jahr später die niedrigste Arbeitslosigkeit seit fast 20 Jahren, auch weil wir Familienbetriebe, den Mittelstand und die Familien gestärkt haben. Die Bürger hatten in diesem Jahr schon mehr Netto vom Brutto ? auch dank der Arbeit der FDP. Der Bund der Steuerzahler hat vorgerechnet, dass die Bürger in diesem Jahr im Schnitt zehn Tage weniger für den Staat arbeiten. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz der Koalition wirkt.
Frage: Sind die Bürger angesichts der Umfragewerte undankbar ? oder stimmen die Umfragewerte nicht?
WESTERWELLE: Umfragewerte sind Momentaufnahmen. Nennen Sie mir irgendeine Regierung in Europa, die ein unpopuläres Sparprogramm beschließen muss und in den Umfragen gut dasteht. Alle europäische Regierungen mussten ihre Prioritäten nach der Griechenland-Krise verändern: nicht immer mehr neue Schulden, sondern Haushaltsdisziplin und Einsparungen bei den staatlichen Ausgaben.
Frage: Aber kalt lassen Sie die Umfragewerte nicht?
WESTERWELLE: Ihre Frage wirft eine andere Frage auf: Ist eine Politik für ein Land nur gut, wenn die Umfragewerte für die Regierungsparteien gut sind? Gerade weil sich Politiker im letzten Jahrzehnt so oft danach gerichtet haben, was sie beliebt macht, statt das zu tun, was richtig ist, stehen wir jetzt vor den Schuldenbergen. Diese Bundesregierung, die von der FDP getragen wird, hat den Mut, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, wenn sie für Deutschland richtig sind. Nehmen Sie die Gesundheitspolitik: Wir haben ein Defizit von neun Milliarden Euro durch die Politik der Vorgängerregierungen vorgefunden. Das bedeutet rechnerisch, dass man jedes fünfte Krankenhaus hätte schließen müssen. Wir haben das Defizit beseitigt, ohne die Gesundheitsversorgung zu verschlechtern.
Frage: Ihre Gesundheitspolitik beinhaltet vor allem Beitragssteigerungen. Eine umfassende Reform des Gesundheitssystems nach Lesart der FDP ist doch mit der Union, insbesondere mit der CSU, gar nicht zu machen.
WESTERWELLE: Der Anfang ist doch bereits gemacht. Niemand kann erwarten, dass wir in zwölf Monaten all das korrigieren, was im letzten Jahrzehnt falsch gelaufen ist. Wir haben das kurzfristige Problem im Gesundheitssystem gelöst, indem wir das Defizit in den Griff bekommen haben. Die Beiträge werden genau auf den Satz gebracht, den wir hatten, bevor er im Konjunkturpaket mit Schulden künstlich gesenkt wurde. Wir haben mittelfristig dafür gesorgt, dass steigende Kosten nicht zugleich auch steigende Lohnzusatzkosten sind. Und wir haben den Einstieg geschafft in ein faires Wettbewerbssystem, dass effizienter ist als die bisherige Planwirtschaft mit ihrer kostspieligen Bürokratie. Aber ich gebe zu: Die Koalition musste sich am Anfang auch erst zurechtrütteln.
Frage: Vernehmen wir da Selbstkritik?
WESTERWELLE: Wenn man zurück denkt, fallen einem immer Dinge ein, die man hätte anders machen können. Zum Beispiel hätten wir ohne Rücksicht auf die NRW-Landtagswahl schneller an die heißen Eisen herangehen müssen.
Frage: Wie schwer ist es für Sie, mit einem CSU-Chef Horst Seehofer zusammenzuarbeiten, den viele für einen verkappten Sozialdemokraten halten? Momentan schießt er gegen die Rente mit 67.
WESTERWELLE: Wir Liberale sind für ein flexibles Renteneintrittsalter, das den unterschiedlichen Lebenssituationen der Menschen gerecht wird. Aber den Bürgern zu versprechen, dass alle trotz des demografischen Wandels immer früher in Rente gehen könnten, halte ich für falsch.
Frage: Im Grunde wissen Sie nie, womit Seehofer als nächstes vorprescht.
WESTERWELLE: Das muss ich auch nicht immer. Es genügt, wenn seine Führungsgremien das wissen. Wir sind Koalitionspartner, aber unterschiedliche Parteien.
Frage: Sie haben ein wenig mit Ihrem Vorstoß überrascht, dass angesichts des Wirtschaftsaufschwungs moderate Lohnerhöhungen angezeigt seien.
WESTERWELLE: Ich habe, bei aller Achtung der Tarifautonomie, eine völlige Selbstverständlichkeit der Sozialen Marktwirtschaft ausgesprochen.
Frage: Man könnte es aber auch so sehen, dass sich der Vize-Kanzler in die Angelegenheiten der Tarifparteien einmischt.
WESTERWELLE: Im Gegenteil. Ich mache keine Vorschläge für Lohnabschlüsse, sondern ich weise auf ein Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft hin: Wächst die Wirtschaft und wächst sie dauerhaft, dann ist es geboten, dass die fleißigen Arbeitnehmer ihre Aufschwungdividende auch erhalten.
Frage: Themenwechsel: Es gab in den vergangenen Tagen einige Irritationen wegen der Neuordnung des EU-Stabilitätspaktes.
WESTERWELLE: Bei dem Thema geht es um eine geschichtsträchtige Herausforderung. Ich mache mir Sorgen um Europa. Wenn uns noch einige Male passieren würde, was uns im Frühjahr mit Griechenland passiert ist, dann verflüchtigt sich das Vertrauen der Bürger nicht nur in den Euro, sondern in Europa insgesamt. Wenn wir den Stabilitätspakt stärken, dann stärken wir Europa. Die meisten Staaten in Europa hat der Problemdruck zu der Erkenntnis gebracht, dass die Stabilität unserer Währung und die Konsolidierung der Haushalte von großer Dringlichkeit sind. Das Momentum muss man jetzt nutzen. Deshalb ist sich die Bundesregierung einig darin, dass man folgendes erreichen will: Sanktionen, wenn sich ein Staat dauerhaft seiner Verantwortung durch unsolides Wirtschaften entzieht. Und diese Sanktionen müssen weitestgehend der politischen Opportunität entzogen sein. Außerdem: Der Krisenmechanismus, wie wir ihn im Frühjahr geschaffen haben, ist nicht verlängerbar. Wir brauchen eine Beteiligung privater Gläubiger, wenn die Insolvenz eines Staates droht. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir in eine Transferunion abgleiten ? was wir nicht wollen. Wir brauchen also einen neuen Mechanismus, und wir brauchen alle dafür notwendigen Vertragsänderungen.
Frage: Wie wollen Sie eine Aufweichung des automatischen Defizit-Mechanismus? vermeiden?
WESTERWELLE: Die Van-Rompuy-Gruppe hat in dieser Woche Vorschläge unterbreitet, die in die richtige Richtung gehen. Ebenso die EU-Kommission. Und das Neun-Punkte-Programm der Bundesregierung ist richtungsweisend.
Frage: Der Regierungssprecher hat Ihre Position, die Sie im Bundeskabinett vorgetragen haben, bei einer Pressekonferenz nicht wiedergegeben. Dafür soll er sich bei Ihnen entschuldigt haben. Stimmt das?
WESTERWELLE: Das ist nicht erforderlich. Ich arbeite mit dem Regierungssprecher vertrauensvoll zusammen.
Frage: Ihr Kabinettskollege Norbert Röttgen hat in Bonn öffentlich in Aussicht gestellt, dass das WCCB noch im kommenden Jahr mit Unterstützung der Bundesregierung fertig gestellt werden soll. Was heißt das konkret?
WESTERWELLE: Ich habe als Außenminister ein Interesse daran, dass der Standort der Vereinten Nationen in Bonn ausreichend Veranstaltungskapazitäten hat. Deswegen unterstütze ich die Fertigstellung des WCCB nicht nur in meiner Eigenschaft als Bonner Abgeordneter, sondern auch als Außenminister. Aber da wir gerade in wichtigen Beratungen sind, bitte ich um Verständnis, dass ich nicht konkreter werden will.
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