Welche politische Versuchsanordnung hat der
„explosive Mr. Kim“ in Pjöngjang hinterlassen? Wohin wird sich das
Land nach dem plötzlichen Dahinscheiden des Diktators mit der
bemerkenswerten Neigung für Nuklearwaffen entwickeln? Das sind die
großen und derzeit wohl kaum seriös zu beantwortenden Fragen, die
nach der Nachricht vom Tod des „Geliebten Führers“ im Raum stehen.
Selbst die hauptamtlichen Nordkorea-Checker in Peking haben ihre
liebe Not, aus dem Trüben ein paar greifbare Anhaltspunkte zur
Beurteilung der Sachlage zu fischen.
Einigermaßen sicher sagen lässt sich aber, dass sich der späte Kim
Jong-il im letzten Jahr seines Lebens vorsichtigen Reformen zugewandt
hat. Wohl weniger aus Barmherzigkeit für seine Mitbürger oder
vernünftiger Einsicht, vielmehr durch Notwendigkeit gezwungen: Die de
facto offene Grenze nach China brachte Lebensmittel, Handys,
Veränderungen, und sie milderte den Durchgriff der Diktatur auf die
Menschen zumindest in der Grenzregion. Kim Jong-il schien zu spüren,
dass sich die Zeiten ändern mussten. Und diese Gefühl versuchten die
Chinesen mit aller Macht zu verstärken. Im August 2010 etwa zeigte
Staatspräsident Hu Jintao dem Genossen aus Pjöngjang eine ganze Woche
lang eine prosperierende chinesische Provinz – als Beispiel, was denn
auch aus Nordkorea werden könnte.
Dieser Öffnungsprozess steht nun wohl für einige Zeit still. Manche
Auguren befürchten das Schlimmste, sogar ein völliger Zusammenbruch
des Landes sei möglich – mit allen sicherheitspolitischen
Konsequenzen. Andere sehen erst im Tod Kims quasi einen Startschuss
für echte Reformanstrengungen. Nicht Kims Sohn Jong-un, sondern eine
neue Führungsgarnitur aus 40- bis 60-jährigen Kadern, die nicht mehr
vom Koreakrieg geprägt sind, werde die Veränderung über dem 38.
Breitengrad in Korea vorantreiben, glauben sie.
Aufschluss darüber werden möglicherweise die Reden bei den
Trauerfeierlichkeiten für Kim geben. Genauso wird es darauf ankommen,
wie geschlossen sich das Regime bei den geplanten Feierlichkeiten zum
100. Geburtstag des Staatsgründers und „Großen Führers“ Kim Il-sung
präsentiert.
Was immer geschieht, die internationale Gemeinschaft – und selbst
China – kann vorerst nicht viel mehr tun, als die Situation in
Pjöngjang zu beobachten. Erst wenn sich die Nebel dort etwas lichten,
ist es an der Zeit, zu versuchen, die festgefahrenen
Sechser-Gespräche zur nuklearen Abrüstung wieder in Gang zu bringen
oder Wirtschaftshilfe anzubieten. Auch deswegen, weil die
angeschlagene Weltwirtschaft derzeit alles andere gebrauchen kann als
einen weiteren Unruheherd, der lang andauernde Unsicherheit in die
Finanzmärkte trägt.
Eine koreanische Wiedervereinigung, wie sie insbesondere in einigen
Kreisen in Seoul erhofft wird, dürfte dagegen noch in weiter Ferne
stehen. Zum einen, weil sie deutlich teurer und komplizierter zu
machen wäre als jene in Deutschland. Die Bank Nomura schreibt in
einer brandneuen Studie, dass Ostdeutschland zum Zeitpunkt der
Wiedervereinigung auf 33 Prozent des westdeutschen BIP kam, Nordkorea
liegt heute bei sieben Prozent des südkoreanischen BIP. Tausende
Milliarden US-Dollar an Investitionen seinen notwendig.
Zum anderen will Peking die Südkoreaner (sprich USA) nicht
unmittelbar an seine rund 1500 Kilometer lange Grenze zu Nordkorea
rücken lassen.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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