Mit einer zweifelhaften Kampagne versucht der
Pharmahersteller Allergan offenbar, sich neue Märkte für sein Mittel
Botox zu erschließen. Dabei geht es um die Behandlung von Patienten,
die an chronischer Migräne leiden. Um auf die Krankheit aufmerksam zu
machen, plakatiert der Konzern, betreibt eine Internetseite und hat
Onlinevideos produzieren lassen. Recherchen von NDR und Süddeutscher
Zeitung zeigen, dass auch namhafte Ärzte an der Kampagne beteiligt
sind, die zum Beispiel für ihre Vortrags- oder Gutachtertätigkeit
Honorare von Allergan bekommen haben.
Botox ist in Deutschland seit 2011 zur Behandlung von chronischer
Migräne zugelassen. Von chronischer Migräne sprechen Ärzte, wenn
Patienten seit mindestens drei Monaten an mindestens 15 Tagen pro
Monat unter Kopfschmerz leiden, davon an acht Tagen unter Migräne.
Das betrifft lediglich einen kleinen Patientenkreis.
Im September und Oktober hat die Initiative „Kopf frei fürs Leben“
in Berlin mehrere Plakate aufhängen lassen. Darauf zu sehen war ein
übergroßer Kopf und ein kurzer Text: „Über 49.000 Berliner wissen
nicht, dass sie unter Chronischer Migräne leiden. Auch Sie?“ Nicht
direkt zu erkennen war, wer die Initiative betreibt. Das Plakat wies
auf die Internetseite www.chronischemigraene.de hin. Im Impressum
dieser Seite ist die Pharm Allergan GmbH aufgeführt, die deutsche
Vertriebszentrale des US-Pharmakonzerns Allergan.
Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente wie Botox ist in
Deutschland verboten. Aber die Internetseite sei sehr geschickt
gemacht, sagt der Medizinrechtler Prof. Dr. Benedikt Buchner von der
Universität Bremen. Die Firma habe „alle Graubereiche umschifft“, so
dass sie juristisch nur schwer angreifbar sei. Auf der Seite wird
kein konkretes Produkt genannt. Stattdessen gibt es Tipps, Infos zur
Behandlung chronischer Migräne und einen Selbsttest. Die Seite bietet
auch die Möglichkeit, einen Arzt in der Nähe zu suchen. Zudem äußern
sich mehrere Mediziner als „Experten“ auf der Seite. Diese
Kooperation von Pharmahersteller und Ärzten sieht Buchner kritisch.
Nach Recherchen von NDR und SZ bestehen zwischen dem Konzern und
den auf der Internetseite aufgeführten Medizinern teils
wirtschaftliche Verflechtungen. Die befragten Ärzte bestreiten, für
den Auftritt auf der Website von Allergan entlohnt worden zu sein.
Mehrere von ihnen haben von Allergan Honorare für andere Tätigkeiten
– wie Vorträge, Beratungen oder Gutachten – erhalten. Unter ihnen
sind auch die renommierten Kopfschmerz-Experten Prof. Dr. Hartmut
Göbel von der Schmerzklinik Kiel sowie Arne May, Leiter der
Kopfschmerzambulanz am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).
Göbel schult unter anderem im Auftrag von Allergan. May hat im
Oktober auf einem Allergan-Symposium auf dem Deutschen
Schmerzkongress einen Vortrag über Migräne gehalten. Einen
Interessenkonflikt sehen beide Ärzte nicht. In welcher Höhe sie
honoriert worden sind, wollten beide nicht sagen.
Allergan hat auf Anfrage von NDR und SZ geschrieben, das
Unternehme sehe es als seine „Verantwortung, Betroffene über das
Krankheitsbild aufzuklären und sie bei der Suche nach einem in der
Diagnose und Therapie von Kopfschmerzerkrankungen erfahrenen Facharzt
zu unterstützen““. Auf Fragen nach konkreten Zahlungen an Ärzte
antwortet Allergan nicht. Sie seien nicht befugt, spezifische
Informationen zu erteilen, so der Konzern. In den USA müssen
Pharmahersteller dahingegen veröffentlichen, wie viel sie welchen
Ärzten zahlen. Dort haben viele Mediziner im vergangenen Jahr mehrere
Tausend US-Dollar von Allergan für Beratungstätigkeiten bekommen. Der
höchste Beratervertrag brachte einem Arzt 49.839,55 Dollar ein.
Nur für den Fall, dass andere Medikamente nicht helfen, ist Botox
als so genanntes Reservemittel zur Behandlung der chronischen Migräne
zugelassen. Dadurch sah Allergan die Wirksamkeit von Botox bestätigt.
In einer Pressemitteilung hatte der Konzern geschrieben, die
Zulassung von Botox erweitere die Möglichkeiten der Linderung der
Symptome der chronischen Migräne bei Erwachsenen. Das Bundesinstitut
für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) teilte auf Anfrage von
NDR und SZ allerdings mit, dass die Zulassung kontrovers diskutiert
worden sei. Der Herausgeber des pharma-unabhängigen
Arznei-Telegramms, Wolfgang Becker-Brüser, sagte NDR und SZ, Botox
bei Migräne sei „überflüssig, da es schlecht untersucht ist und zu
viele Risiken hat.“ Es sei zudem „extrem teuer“. Eine Behandlung
kostet etwa 800 Euro, sie muss alle drei Monate wiederholt werden. In
Schottland hat sich die zuständige Behörde geweigert, Botox
zuzulassen. Der Hersteller habe keine ausreichend robuste klinische
und ökonomische Studie vorgelegt.
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Iris Bents
Tel.: 040/4156-2304
Mail: i.bents@ndr.de
http://www.ndr.de
https://twitter.com/ndr
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