DER STANDARD-Kommentar „Eine braune Staatsaffäre“ von Petra Stuiber

Man kann beinahe von einer Sternstunde des
Talk-Fernsehens schreiben – wenn auch in einem gruseligen Sinne: Da
sitzt ein als „bekehrt“ geltender Neonazi in Günther Jauchs neuer
Sonntagabendshow und erzählt mit der größten Selbstverständlichkeit
der Welt, wie er und seine Schlägertruppe regelmäßig von Polizisten
gewarnt wurden, wenn Razzien anstanden. Begründung: „Sind ja auch nur
Menschen, die fanden das wohl ganz in Ordnung, was wir da machten.“
Mit der gleichen Selbstverständlichkeit plauderte der Mann davon, wie
er und seine Spießgesellen (und -gesellinnen) immer mit dem guten
Gefühl prügelten und brandschatzten, „dass der Großteil der Menschen
so denkt wie wir, sich aber nicht getraut, Taten zu setzen“.

„Taten statt Worte“ war auch das Motto des
„Nationalsozialistischen Untergrunds“, jener Terroristengruppe, die
über ein Jahrzehnt lang unbehelligt vom deutschen Verfassungsschutz
Angst und Schrecken verbreitete. Und die offenbar vor allem deshalb
nicht aufflog, „weil sie an den Tatorten keine Bekennerschreiben
hinterlassen hat“, wie ein Ex-Generalstaatsanwalt in derselben
Sendung ebenso freimütig zugab. Die Staatsschützer machen in diesem
Fall eine erbärmliche Figur. Noch im günstigsten Fall kann man ihnen
unterstellen, die rechtsextreme Gefahr jahrelang unterschätzt zu
haben. Möglich wäre aber auch, dass ein rechtsextremes Netzwerk bis
in die regionalen Behörden und Bürokratien hinein die „Kameraden“ bis
zuletzt geschützt hat.

Seit Jahren üben die Sicherheitsbehörden in ganz Europa enormen
Druck auf die Politik aus, um mehr und mehr Fahndungs- und
Ermittlungsbefugnisse im „Kampf gegen den Terrorismus“ zu bekommen.
Gemeint war damit offenbar seit 9/11 immer nur der islamistische
Terror.

Wozu aber mehr Befugnisse, wozu noch mehr Eingriffe in die
Privatsphäre der Bürger, wenn man am Ende blauäugig auf
„Bekennerschreiben“ wartet, ehe man einschlägig nach rechts
ermittelt? Auch Österreichs Ermittler müssen sich diese Frage
gefallen lassen – besonders im Zusammenhang mit dem geplanten neuen
Sicherheitspolizeigesetz, das Experten für rechtsstaatlich
problematisch halten.

Nicht minder deprimierend ist die Tatsache, dass offenbar weite
Landstriche im Osten Deutschlands fest in rechtsradikaler Hand sind.
Ganze Ortschaften werden von Neonazi-Banden „regiert“, Andersdenkende
weggeekelt – und der Rest schaut zu und schweigt.

Nicht nur in Deutschland leben offenbar gar nicht wenige Menschen,
die ausländerfeindliche, nationalistische und rechtsextreme
Denkweisen stillschweigend dulden – und sogar befürworten. Polemische
Hetzschriften gegen „Kopftuchmädchen“ und „Gemüsehändler“ bereiten
diesen Nährboden ebenso auf wie die „Daham statt Islam“-Parolen
rechtspopulistischer Politiker.

Und während Europas politische Elite solche Denkweisen fast
unisono verdammt, liegt das Problem in der Tiefe der Regionen und
Kommunen. „Ein Neonazi bleibt ein Neonazi, auch, wenn er freundlich
grüßt“, sagte der Chef der Deutschen Grünen, Cem Özdemir, bei Günther
Jauch. An diesem Punkt gebe es „nix mehr zu diskutieren, dem muss man
entschieden entgegentreten“.

Solange sich diese simple Wahrheit nicht bis zum Bürgermeister,
Pfarrer, Wirt und Postenkommandanten im hintersten Dorf
durchgesprochen hat, werden die Nazis nicht verschwinden.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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