DER STANDARD-Kommentar: „Berlin schafft, woran Wien scheitert“ von Eric Frey

Es gibt viele Gründe, die eben erst beschlossene
deutsche Mietrechtsreform zu kritisieren – und das von allen Seiten.
Im konservativen Lager beklagen die Befürworter eines freien Marktes,
dass die neue Mietpreisbremse ein untaugliches Mittel ist, um die
Wohnkosten längerfristig zu bremsen. Dies könne nur eine Erhöhung des
Wohnungsangebots, und das werde durch Eingriffe in den Mietzins
tendenziell verhindert.

Von links wiederum hagelt es heftige Kritik an den vielen
Ausnahmen, mit denen der Mietpreisbremse die Zähne gezogen wurden.
Vor allem die Tatsache, dass bei Neuvermietungen in Neubauten und
umfassend renovierten Gebäuden ein freier Mietzins vereinbart werden
kann, ist nach Meinung von Mieterschützern ein Freibrief für
Zinswucherer.

Fraglich ist auch, ob die Neuregelung der Maklergebühren – „Wer
bestellt, bezahlt“ – die Wohnungssuchenden wirklich entlasten wird.
Selbst wenn der Vermieter den Makler bezahlt, wird er Wege suchen,
die Kosten auf den Mieter zu überwälzen, wenn die Nachfrage groß
genug ist.

Dennoch: Man muss der deutschen Koalition zugutehalten, dass sie
überhaupt eine Mietrechtsreform zustande gebracht hat – und eine, mit
der Union und SPD leben können. Das ist deutlich mehr, als man vom
österreichischen Zweigespann sagen kann. Und dabei ist die Rechtslage
der heimischen Wohnungswirtschaft noch viel schlechter als in
Deutschland.

Beide Länder haben ein gemischtes System mit freiem Markt und
staatlichen Regulativen, wobei es in Deutschland grundsätzlich
weniger Eingriffe gibt als hierzulande. In beiden Länder waren die
Immobilienpreise jahrelang stabil, steigen aber seit der Finanzkrise
zumindest in den Ballungsräumen stark an. Und in beiden Ländern ist
das Thema Wohnkosten politisch und emotionell geladen.

Hier aber hören die Ähnlichkeiten auf. Österreichs Mietrecht ist
ein Gemisch aus Bestimmungen, die zum Teil in die Zeit des Ersten
Weltkriegs zurückgehen. Die letzte umfassende Reform ist bereits 20
Jahre alt. Das Recht ist völlig zersplittert und daher kaum zu
verstehen; es gibt sieben parallele Mietrechtsregime, jede mit
weiteren Untergruppen. Und in dieses rechtspolitische Vakuum sind in
den vergangenen Jahren die Höchstgerichte vorgestoßen, in dem sie die
Regeln des Konsumentenschutzes auf Mieten und Erhaltungskosten
anwenden, ohne Rücksicht auf die übrige Systematik des Mietrechts zu
nehmen.

Das Resultat ist eine juristische Kampfzone, die für alle
Beteiligten zusätzliche Kosten verursacht und Unsicherheit schafft –
Unsicherheit, die den bitter notwendigen Wohnbau bremst. Seit Jahren
sitzen Vertreter von SPÖ und ÖVP sowie die wichtigsten
Interessengruppen – Mieterschützer und Arbeiterkammer auf der einen
Seite, Hausbesitzer auf der anderen – in Arbeitsgruppen zusammen, um
über Reformen zu sprechen. Doch außer gegenseitige Vorwürfe, die
manchmal in Schreiduellen münden, bringen sie nichts zustande.

Der Grund ist offensichtlich: Die einen wollen mehr Eingriffe in
die Mieten, die anderen weniger. Und beide sind von der Richtigkeit
ihrer Position überzeugt.

Doch die Deutschen haben gezeigt, dass man selbst bei tiefen
ideologischen Gräben zu Lösungen kommen kann. Eine Mietrechtsnovelle
in Österreich ist nicht nur dringend notwendig; sie wäre auch ein
Lebenszeichen für die SP/VP-Koalition.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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