Das Ausmaß war bisher unbekannt: Deutschlandweit
gibt es deutlich mehr Fälle beschädigter Atommüllfässer als bislang
angenommen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des NDR
Politikmagazins „Panorama 3“ unter den Aufsichtsbehörden aller 16
Bundesländer (Sendung: Dienstag, 18. November, 21.15 Uhr, NDR
Fernsehen). Fast 2000 entdeckte Fälle von verrosteten oder
anderweitig beschädigten Behältern mit Atommüll verzeichnen die
Behörden in den vergangenen Jahren an deutschen Kernkraftwerken sowie
in Zwischenlagern und Landessammelstellen. Die zuletzt im
Kernkraftwerk Brunsbüttel entdeckten Rostfässer mit Atommüll bilden
demnach nur einen kleinen Teil der problematischen Altlasten.
Laut den Antworten aus den 16 Bundesländern fanden sich bundesweit
an mindestens 17 Standorten leicht oder schwer beschädigte Fässer, u.
a. in der niedersächsischen Landessammelstelle in Leese, in der
hessischen Landessammelstelle in Ebsdorfergrund und am Kernkraftwerk
Biblis. Besonders problematisch ist die Situation im größten
oberirdischen Zwischenlager in Karlsruhe. Hier fanden Prüfer bei
Kontrollen mehr als 1700 beschädigte Behälter mit radioaktivem Müll.
Experten gehen davon aus, dass die Anzahl der beschädigten Fässer
und Container mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen noch
weitaus höher ist. Michael Sailer, Atomexperte des Öko-Instituts,
sagte „Panorama 3“: „Ich erwarte, dass man bei genauerer Inspektion
in verschiedenen Lagern weitere Korrosionen findet. Aus meiner Sicht
sehen wir bislang nur die Spitze des Eisbergs und wissen nicht, wie
groß der Eisberg unter Wasser ist.“
Obwohl das Problem der beschädigten Atommüllfässer seit Jahren
bekannt ist, hat die Bundesregierung bis heute keine umfassende
Übersicht über den Zustand der schwach- und mittelradioaktiven
Abfälle in Deutschland. In einer noch unveröffentlichten Antwort des
Bundesministeriums für Umwelt und Reaktorsicherheit auf eine Kleine
Anfrage der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen heißt es lediglich:
„Der überwiegende Teil der Gebinde mit radioaktiven Abfällen befindet
sich in einem guten Zustand.“ Eine Angabe, wie viele der rund 85.000
Behälter mit radioaktiven Abfällen in weniger gutem Zustand sind,
fehlt.
„Wir können noch nicht sagen, wann wir alle Daten zusammen haben“,
so Jochen Flasbarth, verantwortlicher Staatssekretär im
Bundesumweltministerium, gegenüber „Panorama 3“. „Es geht darum, dass
die Bundesländer ihre Verantwortung wahrnehmen müssen für den
Atommüll an ihren Standorten. Der Bund trägt die Daten zusammen, wir
sind hier auf die Zuarbeit der Länder angewiesen.“
Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Grünen, sieht
eine erschreckende Sorglosigkeit im Umgang mit dem strahlenden Müll.
„Die Bundesregierung hat offensichtlich die Probleme so lange
ignoriert, bis das erste Fass in Brunsbüttel auftauchte. Dann musste
sie sich zwangsläufig damit befassen, dass die Zustände wohl nicht in
Ordnung sind. Aber sie versucht es nach wie vor, so weit wie möglich
von sich fern zu halten“, sagte Kotting-Uhl gegenüber „Panorama 3“.
Die Einlagerung radioaktiver Abfälle wurde in der Vergangenheit
oft falsch oder nur unzureichend dokumentiert. Die genaue Art und
Zusammensetzung des strahlenden Mülls ist vielerorts unklar. Häufig
kommt es zudem zu chemischen Prozessen innerhalb der Fässer. Dort, wo
die Abfallbehälter dicht an dicht oder übereinander gestapelt sind,
ist die Korrosionsgefahr höher. Die Lagerung erschwert gleichzeitig
eine regelmäßige Überprüfung, in welchem Zustand sich die Fässer
befinden.
Experten erwarten für die Zukunft eine weitere Verschärfung des
Problems, da sich die Eröffnung des für schwach- und
mittelradioaktive Atomabfälle vorgesehenen Endlagers Schacht Konrad
in Niedersachsen immer weiter verzögert und vor 2022 nicht erfolgen
wird. Viele der oft vor Jahrzehnten befüllten Fässer sind nur für
eine Zwischenlagerung von wenigen Jahren vorgesehen. „Wenn sie heute
feststellen, es ist wenig oder keine Korrosion an einem Fass außen,
dann heißt es nicht, dass das auch in fünf Jahren noch so ist“, so
Atomexperte Michael Sailer. „Weil wir noch kein Endlager haben,
bleiben die Fässer noch mindestens sechs bis acht Jahre stehen. Da
wird noch viel chemische Korrosion passieren.“
Weitere Informationen zur Sendung finden Sie unter www.panorama.de
.
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
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Iris Bents
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