Angst vor der Macht des bloßen Wortes
„Wie viele Divisionen hat der Papst“, spottete einst der
sowjetische Diktator Stalin. In dem Schmähwort steckt die Angst vor
der Macht des bloßen Wortes. Diese Angst verspüren alle
Gewaltherrscher. Deshalb verfolgen sie Dichter, Journalisten,
Künstler. Oder trachten ihnen gleich nach dem Leben. Der
heimtückische Mordanschlag ist ein Verbrechen – und in diesem Kontext
der furchtbar eindrucksvolle Beleg für die Wirkung von Literatur.
Augusto Pinochet muss Angst vor Pablo Neruda gehabt haben, trotz
seiner Armee, seiner Polizei. Sollte Neruda einem Giftanschlag zum
Opfer gefallen sein, dann wird genau das als erwiesen angesehen
werden müssen. Mit der Todesursache wird das Expertenteam, das den
exhumierten Leichnam des Dichters untersucht, also auch ein Stück
Zeitgeschichte klären.
Das Resultat ändert nichts an der Tatsache, dass schon Nerudas
Begräbnis ein Fanal für die Freiheit war – und der Dichter der
Freiheit ausgerechnet Stalin ein Ergebenheitsgedicht gewidmet hat.
Dieser tragische Widerspruch bleibt.
Stefan Lüddemann
Pressekontakt:
Neue Osnabrücker Zeitung
Redaktion
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