Neue OZ: Kommentar zu PEN / Grass

Die Würde der Literatur

Der ganze PEN gegen ein einziges Gedicht – das wäre ein peinliches
Szenario gewesen. Den Mitgliedern der Autorenvereinigung blieb nur
die Möglichkeit, sich für Günter Grass auszusprechen. Einen Autor als
Ehrenpräsidenten wegen eines literarischen Textes abzuwählen – was
für ein Gedanke, erst recht für den PEN. Gerade für Autoren sollte
der Schutz der Meinungsfreiheit über allem stehen. Im deutschen
PEN-Zentrum scheint darüber allerdings, wie der Antrag zeigte, kein
Konsens zu bestehen. Das macht die ganze Sache zum Trauerspiel.

Die Kontroverse um den Ehrenpräsidenten Grass fügt sich damit in
die erstaunliche, weil explosive Wirkungsgeschichte des
Grass-Gedichtes. „Was gesagt werden muss“ beeindruckt – nicht als
gelungenes Gedicht, sondern als Beleg dafür, dass auch in der medial
entgrenzten Gegenwart ein einzelnes Poem eine hektisch überdrehte
Debatte auszulösen vermag. Der Text belegt nachhaltig, dass Literatur
weiter machtvoll wirken kann. Im Meer inflationär produzierter Texte
strahlt sie Autorität und Würde aus, gerade als Stimme des Subjekts.

Während Internet-Aktivisten in der Debatte um Urheberrecht und
geistiges Eigentum den Tod des Autors verkünden, inszeniert Grass den
Aufstand eines lyrischen Ich gegen eine ganze Welt. Kraftvoller kann
sich ein Autor kaum in Szene setzen.

Pressekontakt:
Neue Osnabrücker Zeitung
Redaktion

Telefon: +49(0)541/310 207

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