„DER STANDARD“-Kommentar: „Zwergenrevolte mit Riesenpotenzial“ von Gerald John

Sie hätten ihn wohl abgenickt wie tausende Gesetze
zuvor. Die Oppositionellen hätten gezetert, einzelne Koalitionäre
pflichtschuldige Bedenken eingestreut, doch am Ende wäre der
Fiskalpakt reibungslos durchs Parlament geflutscht, ohne große
öffentliche Aufmerksamkeit – obwohl dabei viele Abgeordnete der
Regierung, zumindest auf der SPÖ-Seite, arges Bauchweh geplagt hätte.
Francois Hollandes Sieg bei der französischen Präsidentenwahl sei
Dank, dass sich die Parlamentarier doch noch aufmucken trauen. Ein
roter Abgeordneter nach dem anderen verweigert plötzlich das
bedingungslose Ja zum Fiskalpakt, das sich die Regierung in bequemer
Gewohnheit erwartet hat. Erst wollen die Aufmüpfigen abwarten, ob das
Regelwerk – wie von Hollande gefordert – tatsächlich reformiert oder
ergänzt wird, um das Wirtschaftswachstum zu stimulieren. Einzelne
kündigen gar Tollkühnes an: Sie drohen, gegen die Linie der eigenen
Regierung zu stimmen.
Ein Zwergenaufstand? Europaweiter Rückenwind verleiht der Rebellion
Schwung. Anders als auf dem Höhepunkt des Schuldenbremsen-Hypes
lassen sich Kritiker des einseitigen Sparzwangs heute nicht mehr ohne
weiteres als verantwortungslose Fantasten abstempeln. Von
Nobelpreisträgern abwärts warnen Wirtschaftsforscher vor Europas
ökonomischem „Selbstmord“ (Joseph Stiglitz), selbst Ratingagenturen
halten die reine Kürzungspolitik in der Krise für gefährlich. Mit
Hollande reiht sich nun ein Schlüsselspieler in den Widerstand ein.
Warum, lässt sich von Griechenland bis Spanien beobachten: Robuste
Volkswirtschaften wie Österreich mögen Sparpakete, zu denen die
strengen Regeln des Fiskalpakts zwingen, trotz Wachstumsflaute
verdauen, doch die Krisenstaaten schickt der kollektive Tritt auf die
Ausgabenbremse nur noch schneller auf Talfahrt. Die Wirtschaft
schrumpft, dafür steigen die Arbeitslosigkeit und letztlich auch die
Schuldenquote. Die Finanzmärkte werden erst recht nicht frohlocken.
All das haben auch heimische Sozialdemokraten oft kritisiert. Doch im
Gegensatz zu Kanzler Werner Faymann, der die strikten Defizit- und
Schuldengrenzen auf jeden Fall – mit oder ohne zusätzlichen
Wachstumspakt – ziehen will, nehmen einige Abgeordnete die eigene
Rhetorik nun endlich ernst.
Auch aus nacktem Eigeninteresse sind die Mandatare gut beraten, den
Fiskalpakt nicht einfach durchzuwinken, zumal dieser die Budgethoheit
– das Königsrecht des Parlaments – aushöhlt. Genehmigungs- und
Kontrollbefugnisse, Sanktionsrecht und die Definitionshoheit über das
maßgebliche, konjunkturbereinigte Defizit bescheren der EU-Kommission
viel Macht. Demokratisch gewählt ist diese aber bestenfalls über
mehrere Ecken.
Im Alleingang wird ein Häufchen österreichischer SPÖ-Abgeordneter
nicht am Fiskalpakt kratzen können. Doch auch Regenten eines
Kleinstaates können in Brüssel Wirkung entfalten, wenn sie sich um
Allianzen bemühen. Kanzler Faymann sollte den Hinweis auf die
wackelnde Mehrheit im heimischen Parlament als Druckmittel nützen,
damit die nun von allen Seiten verheißene wachstumsfreundliche
Politik kein leeres Versprechen bleibt. Die Ausrede, dass ein braver
österreichischer Sozialdemokrat gegenüber der bösen konservativen
Übermacht in Europa auf verlorenem Posten steht, zieht seit Francois
Hollandes Wahlsieg nicht mehr.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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