Berlin. Der FDP-Spitzenkandidat in NRW und designierte NRW-Landesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab den „Aachener Nachrichten“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte JOHANNES NITSCHMANN.
Frage: Herr Lindner, Sie persönlich können bei der NRW-Landtagwahl am 13. Mai eigentlich nur gewinnen. Falls die Liberalen den Einzug in den Düsseldorfer Landtag nicht schaffen, würde diese Niederlage dem FDP-Bundesvorsitzenden Philipp Rösler angelastet, von dem sie im Groll bei ihrem Rücktritt als Generalsekretär geschieden sind. Schaffen die Freidemokraten aber mit Ihnen als Zugpferd entgegen allen aktuellen Prognosen an Rhein und Ruhr den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde, wären Sie fortan der große Hoffnungsträger der Bundespartei.
LINDNER: Am 13. Mai geht es doch nicht um mich, sondern um Entscheidungen für Nordrhein-Westfalen: weniger Schulden, faire Bedingungen für das Gymnasium, vernünftige Industriepolitik. Und es geht um eine Frage der Haltung: Haben die Menschen, die leistungsorientiert sind, die nicht alle Verantwortung an den Staat delegieren wollen, die unter Gerechtigkeit vor allem Chancen und nicht Gleichheit verstehen, weiter eine Stimme im Landtag? Das ist die FDP.
Frage: Mit Ihnen soll die FDP im bevölkerungsreichsten Bundesland ein menschliches Antlitz erhalten. Statt Marktradikalismus predigen Sie Ihren Anhängern mitfühlenden Liberalismus. Leiten Sie damit einen programmatischen Paradigmenwechsel bei den Freidemokraten ein, um den politischen Existenzkampf doch noch zu gewinnen?
LINDNER: Ich bin ein Anhänger der Sozialen Marktwirtschaft in der Tradition von Otto Graf Lambsdorff. Der geht es darum, Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Da gibt es nach wie vor viel zu tun. Es stimmt ja etwas mit dem Staat nicht, wenn sich zum Beispiel ein Handwerker einerseits ungeordneten Finanzmärkten schutzlos ausgeliefert fühlt, andererseits aber auch bürokratisch in seinem Alltag gegängelt. An beiden Problemen müssen wir Liberale arbeiten.
Frage: Gegen Ihren Kurs gibt es in der eigenen Landespartei durchaus Widerstände. Der Ostwestfale Frank Schäffler will im neuen FDP-Grundsatzprogramm bei der Marktwirtschaft das Attribut sozial entfernen. Werden mit solchen Bestrebungen nicht die hässlichen Klischees der Liberalen wiederbelebt?
LINDNER: Meinen Kurs haben 394 von 395 Delegierten des Landesparteitags unterstützt. Welche Ergebnisse muss man haben, damit die Geschlossenheit nicht in Frage gestellt wird?
Frage: Unmittelbar nach Ihrer Nominierung zum FDP-Spitzenkandidaten in NRW durch die Parteiführung haben Sie die politischen Prioritäten in ihrer Partei im Handumdrehen verschoben. Für Sie hat die Sanierung der öffentlichen Haushalte eindeutig Vorrang vor Steuersenkungen. Wird sich dieses Prinzip auch in Ihrer Bundespartei durchsetzen?
LINDNER: Moment, die Entschuldung hat für mich nicht nur Vorrang vor Steuerentlastungen, sondern vor allem auch vor neuen Aufgaben für den Staat! Da liegt doch der Kern des Problems: Der Staat nimmt immer mehr ein, aber Politiker erfinden noch schneller neue Aufgaben. Trotz Rekordeinnahmen hat Rot-Grün in NRW zum Beispiel vier Milliarden Euro neue Schulden geplant. Jetzt wollen SPD und Grüne die Etats auch nicht durch Sparen sanieren, sondern durch Steuererhöhungen. Das würgt die Wirtschaft ab, so dass es danach höhere Steuern und höhere Schulden gibt. Diese Politik haben wir beendet, indem wir dem rot-grünen Haushaltsplan unsere Zustimmung verweigert haben.
Frage: Ihr politischer Seelenverwandter, der schleswig-holsteinische FDP-Frontmann Wolfgang Kubik, hat angekündigt, dass er auf dem kommenden Bundesparteitag der Liberalen am 21./22. April in Karlsruhe gemeinsam mit Ihnen dafür eintreten will, „die FDP neu zu denken“. Bereiten Sie eine programmatische Kurswende vor?
LINDNER: Ich schätze Wolfgang Kubicki, aber eine Seelenverwandtschaft zwischen ihm und mir hat vor Ihnen noch niemand bemerkt. Wir sind schon unterschiedliche Persönlichkeiten. Deshalb müssen Sie ihn nach seinen Plänen für den Bundesparteitag selbst befragen.
Frage: Im laufenden NRW-Landtagswahlkampf greifen Sie vor allem auch Ihren Berliner Koalitionspartner, die Christdemokraten, an. Den CDU-Spitzenkandidaten und Bundesumweltminister Norbert Röttgen verspotten Sie regelmäßig als „klügsten Grünen“. Haben Sie in Nordrhein-Westfalen eine Koalition mit der CDU bereits abgeschrieben?
LINDNER: Über mögliche Koalitionsaussagen zerbreche ich mir jetzt nicht den Kopf. Dazu werde ich unserem Landesparteitag am 6. Mai gegebenenfalls einen Vorschlag machen. Wir denken jetzt nicht an Koalitionen, sondern an das, was für Nordrhein-Westfalen richtig ist. Und da gibt es eine Übereinstimmung mit der Union, weil wir gemeinsam die rot-grünen Politik auf Pump ablehnen. Allerdings gibt es auch Unterschiede zur CDU. Die FDP will die Benachteiligung des Gymnasiums beenden, die die CDU im rot-grünen Schulkonsens mitgetragen hat. Die FDP lehnt die von der Union geforderte Vorratsdatenspeicherung der privaten Kommunikation der Bürger ab. Und die FDP sorgt sich um die weit über eine Millionen Arbeitsplätze in der Industrie, die bei einer schwarz-grünen Energiepolitik bedroht sind.
Frage: Immerhin scheint es die CDU gut zu meinen mit der FDP. Der innerparteiliche Streit um die politische Zukunft von Norbert Röttgen, der sich derzeit nicht klar zu Berlin oder Düsseldorf bekennen will, wirkt wie ein politisches Konjunkturprogramm für die Liberalen.
LINDNER: Richtig ist, dass die Bürgerinnen und Bürger uns wieder zuhören. Das hat aber vor allem etwas mit unserer Prinzipienfestigkeit zu tun. Die FDP hat lieber eine Neuwahl in Kauf genommen als neuen Schulden zuzustimmen. Das ist ein Beleg für unsere Glaubwürdigkeit.
Frage: Falls die FDP am 13. Mai den Einzug in den Landtag schafft und Rot-Grün eine parlamentarische Mehrheit verfehlt, wird Ihnen durchaus der Weg in eine Ampelkoalition zugetraut. Oder wäre das für Sie ein Schreckgespenst?
LINDNER: Dazu müsste man wissen, was die Grünen in der Sache überhaupt wollen. Die grüne Spitzenkandidatin beschäftigt sich in ihren Reden aber mehr mit meiner Person als mit ihrem eigenen Programm. Da pflegen wir als Liberale einen anderen Stil. In der Sache haben wir mit der Minderheitsregierung von Hannelore Kraft punktuell zusammengearbeitet, um etwa die finanzielle Lage der Gemeinden zu verbessern. An anderen Stellen haben wir uns widersetzt, zum Beispiel bei der Gefährdung der Gymnasien oder dem Schuldenhaushalt. Für mich ist viel spannender, wie CDU und Grüne miteinander flirten. Die Zusammensetzung des Schattenkabinetts von Norbert Röttgen und seine Kurskorrekturen in der Haushaltspolitik sind da leider klare Indizien.
Frage: Wie Kai aus der Kiste hat sich der frühere Sozialdemokrat und einstige NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement bei den Freidemokraten als Wahlkampfhelfer angedient. Ist Clement bei Ihnen willkommen oder fürchten Sie seine politischen Querschläger?
LINDNER: Er muss sich nirgendwo andienen. Ich schätze Wolfgang Clement als sozialliberalen Kopf. Von der von ihm mit realisierten Agenda 2010 profitiert Deutschland noch heute. Als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hat er immer auch die Interessen der Arbeitsplätze im Blick gehabt. Im Kabinett von Frau Kraft hat dagegen der grüne Umweltminister alles und der rote Wirtschaftsminister nichts zu sagen. Da stimmt die Balance nicht.
Frage: Bei Ihrem Rücktritt als FDP-Generalsekretär im vergangenen Dezember haben Sie der Journaille ein verschmitztes „Auf Wiedersehen!“ zugerufen. Ist für Sie ein bundespolitisches Comeback ? jenseits des technologiepolitischen Sprechers in der FDP-Bundestagsfraktion ? vorstellbar, oder liegt Ihre Erfüllung ganz und gar in der nordrhein-westfälischen Landespolitik?
LINDNER: Ich bin auch da gegen Spielereien: Ich will mit der FDP in den Landtag einziehen und sie danach als Landes- und Fraktionsvorsitzender führen.
Frage: Falls die FDP am 13. Mai in Nordrhein-Westfalen die Fünf-Prozent-Hürde reißt, wäre dann der politische Insolvenzfall für Ihre Partei eingetreten?
LINDNER: Sie müssen keine Sorge haben. Wir nutzen mit großer Konzentration die neue Chance, die die Leute uns in Nordrhein-Westfalen durch ihr Interesse wieder geben.
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