DER STANDARD-KOMMENTAR „Nur die volle Wahrheit gilt“ von Alexandra Föderl-Schmid

Für Christian Wulff und Alexander Wrabetz trifft das
zu, was der Philosoph Ludwig Marcuse, in abgewandelter Form,
festgestellt hat: Die Wahrheiten lägen oft nicht in dem, was man
sage, sondern in dem, was man nicht sage.
Die Position des deutschen Bundespräsidenten lässt sich zwar mit
jener des Chefs des Österreichischen Rundfunks nicht vergleichen: Der
eine vertritt ein Land, der andere leitet das größte
Medienunternehmen des Landes. Aber beide nehmen es mit der Wahrheit
nicht so genau und haben damit dem Amt und ihrer eigenen Autorität
Schaden zugefügt.
Dass ihr Wort nichts mehr gilt – oder zumindest angezweifelt werden
kann -, daran sind beide selbst schuld. Wrabetz hat nach seiner von
Nikolaus Pelinka organisierten Wiederwahl zum ORF-Generaldirektor
mehrfach versichert: Dass Pelinka Kommunikationschef werde, basiere
auf „völlig haltlosen Gerüchten, die jeder Grundlage entbehren“. Er
berief sich auf Pelinka, der „einen Wechsel in den ORF für sich
ausgeschlossen“ habe, weshalb „dem nichts hinzuzufügen ist“. Das war
am 11. August. Zwei Tage davor hatte Wrabetz behauptet: „Im Gegensatz
zu anderen Mitbewerbern habe ich nicht mit der Politik verhandelt.“
Wrabetz kann nicht wie weiland Konrad Adenauer behaupten: Was kümmert
mich mein Geschwätz von gestern? Er muss sich vorhalten lassen, was
er gesagt hat. Formal kann er argumentieren, die Frage habe sich nur
auf einen Wechsel Pelinkas auf den Posten des Kommunikationschefs,
nicht auf den ihm zugedachten Büroleiter-Sessel bezogen. Aber ob er
nun diesen oder jenen Job im ORF bekommt, ist – nicht nur wegen der
Ausschreibung, in der keine Qualifikationen und genauen Aufgaben
beschrieben werden – zweitrangig. Es geht um die Absprachen dahinter
und um die Tatsache, dass Wrabetz nicht die volle Wahrheit gesagt
hat.
Auch Wulff hat formal die richtigen Antworten gegeben, als es im
niedersächsischen Landtag um die Frage ging, wer ihm nun einen Kredit
für sein Haus gegeben hat. Aber es war eben nicht die ganze Wahrheit.
Und es tauchen immer mehr Unschärfen auf, auch durch seine Äußerungen
in seinem letzten TV-Interview, das als Befreiungsschlag gedacht war.
So widerspricht Wulffs Bank: Der Kreditvertrag zur Finanzierung
seines Hauses sei – anders als vom deutschen Bundespräsident
geschildert – nicht bereits im November besiegelt worden.
Gravierender sind die Vorwürfe der Bild-Journalisten: Wulff soll in
dem Telefonat mit Bild-Chefredakteur Kai Diekmann nicht nur um eine
Verschiebung des Berichts über seinen Kredit, wie vom
Bundespräsidenten behauptet, gebeten haben. Vielmehr soll er gedroht
haben, die Worte „Krieg führen“ und „Strafantrag“ sollen gefallen
sein. Demnach hat Wulff nicht gelogen – aber auch nicht die volle
Wahrheit gesagt. Den Wahrheitsbeweis – die Veröffentlichung des
Mitschnitts – will der Bundespräsident aber nicht zulassen, was seine
Glaubwürdigkeit weiter untergräbt.
Es geht in beiden Fällen nicht um Wortklauberei, sondern darum: Wem
kann man was – noch – glauben? Lüge und Anstand sind ein
Geschwisterpaar, heißt ein deutsches Sprichwort. Wulff wie Wrabetz
haben es an Anstand vermissen lassen. Anstand und Glaubwürdigkeit
sind aber Voraussetzung für die Arbeit in der Politik oder im
Medienbereich. Beide haben ihre Glaubwürdigkeit und die Reputation
ihrer Institutionen schwer beschädigt.

Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70 DW 445

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