Was in einem – offiziell vertraulichen – Iran-Bericht
der Internationalen Atomenergie IAEO steht, ist das
schlechtestgehütete Geheimnis der Welt: Einige Minuten nach den
Mitgliedern des IAEO-Gouverneursrats, an den so ein Bericht gerichtet
ist, halten ihn auch alle Journalisten weltweit, die sich mit der
Materie befassen, in Händen. Und diesmal wurde fünf Tage vor dem
Erscheinungstermin bekannt, was ungefähr im Annex des nächsten
Berichts steht – nämlich die konkreten Hinweise darauf, dass der Iran
an den unterschiedlichen Technologien geforscht und gearbeitet hat,
die man zum Bau einer Atombombe braucht.
Man kann diese – im Gehalt wenig überraschende – Nachricht auf
politischer und auf technischer Ebene diskutieren – wer Letzteres
tut, legt sich allerdings mit den Iran-Falken an. Dennoch: Für
unabhängige Experten wird auch nach diesem Bericht weiter gelten,
dass über die politische Entscheidung des Iran, eine Atombombe zu
bauen, nichts bekannt ist. Was hingegen seit langem klar ist, denn
anders macht das Bild keinen Sinn, ist, dass der Iran zumindest ein
„virtuelles Atomwaffenprogramm“ hat, wie das der frühere IAEO-Chef
Mohamed ElBaradei nannte, und damit bald eine virtuelle Bombe: Alles
steht bereit, alle Technologien sind gemeistert, sodass zwischen der
Entscheidung, eine Bombe zu bauen, bis zu ihrer Fertigstellung im
schnellsten Fall ein paar Wochen liegen.
Dieses „nuclear hedging“, die nukleare Absicherung, ist ein Zustand,
der fast so „gut“ ist wie die Bombe selbst. Und darum sieht die
politische Beurteilung der Erkenntnisse über den Iran so eklatant
anders aus als die technische. Denn der Iran soll nicht nur keine
Bombe haben, sondern auch keine bauen können.
De facto strebt der Iran (wenn er denn noch in diesem Stadium ist)
einen Zustand an, den andere Staaten – ein Beispiel wäre Japan, ein
anderes Deutschland – längst erreicht haben. Aber Teheran hat sich
zum großen Unterschied zu diesen anderen Ländern auf dem Weg dorthin
der Verletzung seiner Safeguards-Abkommen mit der IAEO und der Regeln
des Atomwaffensperrvertrags schuldig gemacht, was seine Absichten in
einem noch zweifelhafteren Licht erscheinen lässt. Und deshalb gibt
es Uno-Sicherheitsratsresolutionen, die den Iran auffordern, sofort
sein Urananreicherungsprogramm einzustellen und Klarheit zu schaffen.
Das wird nicht geschehen. Die Diskussion über Militärschläge gegen
den Iran dient nun einerseits dazu, politischen Druck zu machen: Nur
durch eine neue Sanktionsrunde und die totale Isolation des Iran kann
Israel daran gehindert werden, die Sache selbst in die Hand zu
nehmen, ist die Botschaft in Richtung Sicherheitsratsmitglieder
Russland und China. Andererseits ist das Kriegsgetrommel Ausdruck der
totalen Hilflosigkeit.
Das erste Paradox ist, dass die politische Entscheidung des Iran für
eine Bombe dadurch beschleunigt werden könnte. Dass diese
wahrscheinlich noch nicht gefallen ist, macht – und das ist das
zweite Paradoxon – gleichzeitig die Kriegsgefahr real. Denn die Zeit
für einen Militärschlag wird irgend wann einmal abgelaufen sein.
Sinn macht er trotzdem keinen: Man kann Anlagen zerstören und
Menschen töten, aber nicht technologisches Wissen ausrotten. Und die
Folgen, wenn eine derart instabile Region durch noch einen Krieg
weiter destabilisiert wird, sind unabsehbar.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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