Neue OZ: Kommentar zum Fund von Nebra

Die Welt ist eine Scheibe

Raubgräber fanden sie, Forscher erkannten in ihr die älteste
astronomische Abbildung der Menschheit: Die Entdeckung der
Himmelsscheibe von Nebra vor zehn Jahren war spektakulär, eine
Steigerung ihrer Faszinationskraft kaum vorstellbar.

Die aktuelle Forschung gibt dem Fund doch noch eine weitere, fast
mythische Bedeutung. Nachdem die vorgeschichtlichen Astronomen auf
der Scheibe ihre Kenntnisse fixiert hatten, so die These, hat die
Natur sie unbrauchbar gemacht. Ein Vulkan äscherte die Sterne ein;
alles Wissen war infrage gestellt. Die Folge: Eine Opferung der
Kulturleistung sollte die Götter versöhnen.

Auf essenzielle Weise ist in dem frühen Kapitel der
Wissenschaftsgeschichte einer ihrer Grundbewegungen vorgezeichnet:
der Wunsch, die Natur zu beherrschen – und seine Enttäuschung in der
Katastrophe. Die Scheibe zeugt von einer Erkenntnislust, die zu immer
komplexeren Konzepten führt. Und die doch vor der grundsätzlichen
Rätselhaftigkeit des Kosmos kapitulieren muss – oder in die Religion
ausweicht. So wird der Fund von Nebra das Sinnbild für ein seit
Jahrtausenden frustriertes Fragen. Der Kosmos ist immer besser, aber
nie ganz zu begreifen. Wissen bleibt ein Modell: Die Welt, wie wir
sie verstehen, ist eine Scheibe.

Pressekontakt:
Neue Osnabrücker Zeitung
Redaktion

Telefon: 0541/310 207

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