DER STANDARD-Kommentar „Alter Wein in neuen Schläuchen“ von Walter Müller

Dem Lokalkolorit entsprechend lässt sich die
Regierungsklausur in der obersteirischen Bergwelt von Schladming
trefflich mit dem Satz zusammenfassen: „Guat is gangen, nix is
g–schehn.“ Keine Panne, keine Peinlichkeit, kein Aufreger. Die
politische Inszenierung mit Schwerpunkt „neue Harmonie“ hat
funktioniert, auch wenn, wie Polito?loge Peter Filzmaier anmerkt,
Politshows dieser Art schon ein bissl altbacken daherkommen. Sie
haben sich überlebt. Politiker auf der Alm vor der Kasnocknschüssl
braucht im Grunde wirklich niemand mehr. Natürlich haben die Bilder
vom fröhlichen Hüttenabend samt üppiger Jause auch den Eindruck
erweckt, dass damit von einer inhaltlichen Dürftigkeit abgelenkt
werden soll. Und selbstverständlich darf man sich fragen, ob die
Botschaften von Schladming nicht auch im Kanzleramt erarbeitet und
verkündet hätten werden können. Die neue gute Stimmung in der
Koalition, die vermittelt wurde, hatte auch einen Namen: Michael
Spindelegger. Es ist schon einigermaßen erstaunlich, wie menschlich
brutal mit dem ehemals geschätzten Parteichef abgefahren wird.
„Bremsklotz“ ist noch die mildeste Bezeichnung, die man ihm nachruft.
Es scheint,als sei er wie eine Tonne Blei auf der ÖVP und der
Regierung gelegen. Jetzt, nachdem er weg ist, hat die ÖVP eine neue
Leichtigkeit des Seins erfasst. Ein seltsames Bild der
psychologischen Verfasstheit von Parteien. Es durfte aber, nachdem
die ÖVP und mit ihr die Regierung also von „Spindi“ entfesselt wurde,
wohl erwartet werden, dass nun endlich die großen Brocken von der
Verwaltungs-, Spitals- und Gesundheits- bis zur Bildungsreform
angepackt werden. Diesmal wirklich. Aber mitnichten. Den ?alten
Konfliktfeldern zwischen ÖVP und SPÖ wurde ausgewichen, und es blieb
wieder der schmale Grat der kleinen Kompromisse. In der Schulpolitik
geht?s nicht mehr um die große Reform, sondern um die kleine
mach-bare. Es ist zwar zu begrüßen, dass endlich der Übergang vom
Kindergarten die Volksschule harmonisiert und dort bildungspolitisch
nachgebessert wird. Das aber als den großen Wurf zu verkaufen ist
Propaganda. Nach Schladming zu fahren und zur mächtig angekündigten
Steuerentlastung nur „fünf Milliarden“ zu sagen war einfach zu wenig.
Ohne Unterfütterung von Fakten, ohne auch nur einen Hinweis zu geben,
wo das Geld für die Entlastung gehoben werden soll, schürt das nur
das Grundmisstrauen, dass am Ende ohnehin wieder alle die Rechnung
zahlen werden. Das war Politik alt und unprofessionell. Entfesselt
begibt sich die Regierung jetzt in eine neue, enge Abhängigkeit. Das
Bild der Pressekonferenz hatte Symbolkraft: Kanzler Faymann und
Vizekanzler Mitterlehner wurden flankiert von Wirtschaftskammerchef
Christoph Leitl und ÖGB-Boss Erich Foglar. Man konnte es auch so
interpretieren: Nichts geht mehr ohne Zustimmung der Kammern und
Gewerkschaft. Die Sozialpartner wieder als starke Ruderer im
Regierungsboot lässt auf alle Fälle kein sehr großes Reformtempo
erwarten, dafür jede Menge altösterreichischen Pragmatismus. Und so
fehlte in Schladming der große Spin, die Botschaft, dass das neue
Regierungsteam die Zeichen der Zeit erkannt hat – und nicht wieder
nur alten Wein in neue Schläuche füllt. Von einer rot-schwarzen
Koalition, die weiß, dass es ihre letzte große Chance ist, wäre in
Schladming einfach mehr zu erwarten gewesen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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