DER STANDARD-Kommentar: „Appell an die Vernunft“ von Petra Stuiber

Die Meldungen über Tätlichkeiten oder zumindest grobe
Unfreundlichkeiten häufen sich: Seien es die Attacken gegen zwei
ältere Frauen mit Kopftuch, sei es die Beschwerde einer
Wien-Touristin aus den Arabischen Emiraten, der ein Passant
kurzerhand den Gesichtsschleier herunterriss: Offenbar haben viele in
Österreich das Gefühl, hinter jeder Ecke lauerten gewaltbereite
Jihadisten. Dass sich antimuslimische Aggressionen wieder einmal
vorwiegend gegen Frauen richten, ist besonders perfide, geht doch,
laut allen einschlägigen Untersuchungen, die größere Gefahr von
gewaltbereiten, weil frustrierten jungen Männern aus. Da ist es
natürlich wesentlich mutiger, sein Mütchen an den (vermeintlich)
schwächeren Frauen zu kühlen.

Es wird Zeit, dass sich die Gemüter wieder beruhigen und die
Vernunft zurückkehrt. Nicht unter jedem Kopftuch verbirgt sich eine
Selbstmordattentäterin, nicht hinter jedem langen Kleid eine
Demokratieverweigerin. Die gemäßigten Muslime Österreichs – und die
sind die bei weitem überwiegende Mehrheit – haben verdient, dass man
sie in Schutz nimmt.

Es sei „schlimmer als nach 9/11“, sagte eine junge Muslimin vor
kurzem zum Standard. Damals sei wenigstens, einige Monate nach den
Terroranschlägen auf das World Trade Center, ein Ruck durch die
Gesellschaft gegangen, der Ruf nach Mäßigung und Enthysterisierung
sei von vielen verbreitet und getragen worden. Nun seien, mit immer
neuen Schreckensmeldungen über junge Leute, die IS als Pop-Phänomen
anhimmeln und (leicht-)gläubig in den „Heiligen Krieg“ ziehen, schier
endlose Verdächtigungen, Anschuldigungen und teils auch
Respektlosigkeit, Hohn und Zynismus gegenüber Muslimen zu spüren. Ein
gerüttelt Maß an Eigenfehlern ist Österreichs Muslimen freilich nicht
abzusprechen. Man argumentiert nicht, man duckt sich weg, man
agitiert höchstens in sozialen Netzwerken – und da oft genauso
undifferenziert und schlicht dumm, wie es einem nun selbst
entgegenschlägt.

Österreichs gemäßigte Muslime müssen sich zusammentun, sie müssen
andere Glaubensgemeinschaften offen ansprechen, den Dialog suchen.
Ein Zugehen auf die Israelitische Kultusgemeinde etwa wäre nicht nur
ein Imagegewinn. Es wäre ein echter Fortschritt im Verhältnis
zueinander. Dann müsste man aber endlich klare Worte zur Hamas finden
und klarstellen, dass es genauso inakzeptabel ist, Israel als
„Kindermörder“ zu beschimpfen.

Ferner muss man nach innen und nach außen klar machen, dass
Erdogans Propagandashow in eigener Sache in Österreich künftig nicht
erwünscht ist. Zudem muss es ein entschiedeneres – und akkordiertes –
Auftreten gegen muslimische Hassprediger geben, ein öffentlich
unterbreitetes Angebot an das Innenministerium, gemeinsam gegen
Radikalisierung vorzugehen und „Rückkehrer“ zu betreuen. Dazu gehört
aber auch, Druck für eine Reform des Bildungssystems aufzubauen. Wenn
dieses immer weniger jungen Leuten eine Chance bietet, ist in jeder
Hinsicht Feuer am Dach.

Besonders gefordert ist der Chef der Islamischen
Glaubensgemeinschaft, Fuat Sanac. Selbst wenn die IGGIÖ nicht von
allen als Vertretung anerkannt wird, hat sie doch eine gewichtige
Stimme, die sie auch erheben sollte. Nach Sanacs jüngstem
profil-Interview sind Zweifel angebracht. Die wiederholt vorgebrachte
Kernaussage Sanac lautet: „Was kann man denn tun?“ So werden die
Probleme nicht zu lösen sein.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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