DER STANDARD-Kommentar: „Dem Shitstorm entgegensteuern“ von Gerald John

Erst den Leuten den Mund wässrig machen, dann sie
verhungern lassen: So speist die Regierung jene Wähler ab, die das
Versprechen der Steuersenkung ernst nahmen. Finanzminister Michael
Spindelegger will nicht, solange nicht Wirtschaftsboom,
Föderalismusreform oder ein anderes Wunder Geld in die Kasse spülen.
Kanzler Werner Faymann traut sich nicht, weil ein Insistieren auf
einer Vermögenssteuer zur Gegenfinanzierung den Koalitionsfrieden
gefährden könnte – auch, wenn dieser allmählich an Grabesruhe
gemahnt.

Die Zores dafür werden beide Seiten ernten. Man muss ja nicht wie
der Linzer Ökonom Friedrich Schneider einen Volksaufstand an die Wand
malen, doch aus dem permanenten Shitstorm kommt die Koalition so
nicht heraus. Natürlich lässt sich im Handumdrehen kein kluges
Konzept erstellen, aber ein straffer Zeitplan mit konkreten Zielen
wäre das Mindeste, um Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Denn es gibt
Alternativen zum Warten auf bessere Jahre und (angekündigte) Reformen
mit langer Vorlaufzeit, sofern die Regierung nicht einer Illusion
erliegt: es allen recht machen zu können.

Potenzial schlummert im Steuersystem selbst. Die Umsatzsteuer ist
von Ermäßigungen durchlöchert, dazu gesellen sich mehr als 550
Begünstigungen im Einkommenssteuerrecht – mit so absurden Ausreißern
wie dem ökologisch fatalen Dienstwagenprivileg, das zuletzt wieder
nur homöopathisch beschnitten wurde. Für jeden Vorteil wird sich eine
Lobby ins Zeug legen, doch das gemeinsame Ziel – eine Senkung des
leistungsfeindlich hohen Eingangssteuersatzes im Gegenzug – sollte
der Koalition ein Wickel wert sein.

Mit dem Streichen von Ausnahmen ist es aber nicht getan. Will die
Koalition Arbeit vor dem Sankt-Nimmerleins-Tag entlasten, wird sie
angesichts von Hypo-Kosten und Nulldefizitgebot der EU nicht
umhinkommen, andere Steuern anzuheben. Die viel beklagte Abgabenquote
bliebe dann zwar auf insgesamt hohem Niveau, doch dieser Wert sagt
ohnehin wenig über die finanzpolitische Vernunft eines Staates aus.
Einsparungen sind an vielen Stellen nötig, aber nicht per se
sinnvoller als Steuererhöhungen – es kommt drauf an, wer oder was
belastet wird: Es wäre ein schlechter Deal, etwa Umweltförderungen zu
kürzen, nur um aus Rücksicht auf die Quote auf höhere Ökosteuern zu
verzichten. Selbige liegen in Österreich ohnehin unter dem
EU-Schnitt.

Viel mehr trifft das noch auf Vermögenssteuern zu, die weit
wachstumsfreundlicher als die überstrapazierte Einkommenssteuer sind.
Der Behauptung, dass diese mit mittelstandsverträglichen Freibeträgen
nur Peanuts brächten, widersprechen Studien, die nicht von den
üblichen rot-grünen Verdächtigen in Auftrag gegeben wurden. Und
selbst wenn der Erlös überschätzt wird: Mit Erbschaftssteuer und
einer aufgefetteten Grundsteuer geht sich eine Arbeitsentlastung
allemal leichter aus als ohne.

Für Faymann birgt der allgemeine Unmut deshalb eine Chance. Der
SPÖ-Chef müsste den von den Medien über die Expertenschaft bis zu den
eigenen Genossen ertönten Ruf nach einer Steuerreform nützen, um die
Maximalposition seines Widerparts – keine Gegenfinanzierung – zu
untergraben. Komfortabel ist diese ohnehin nicht: Dass Spindelegger
vier Millionen Einkommensteuerzahler vertröstet, um 80.000 Betuchte
vor der roten „Millionärssteuer“ zu schützen, werden auch nicht alle
ÖVP-Wähler verstehen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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