WDR MONITOR: Bundeswehr verschweigt zivile Opfer bei Afghanistan-Offensive

Bei der größten Militäroffensive der Bundeswehr in
Afghanistan hat es entgegen offiziellen Verlautbarungen offenbar
zahlreiche tote und verletzte Zivilsten gegeben. Das berichtet das
WDR-Magazin MONITOR in seiner aktuellen Ausgabe (Donnerstag, 21:45
Uhr im Ersten). Danach kamen bei einem Gefecht im Herbst 2010 bis zu
27 Zivilisten ums Leben. Die Bundeswehr hatte bislang stets beteuert,
dass es bei der viertägigen Operation, mit dem Namen „Halmazag“,
„keine Erkenntnisse über zivile Opfer“ gegeben habe.

Das WDR-Magazin stützt sich bei seinen Recherchen auf die Angaben
von Zeugen, Angehörige der Opfer sowie afghanische Regierungsbeamte.
Auch ein Soldat der Bundeswehr, der bei dem Einsatz vor Ort war, hält
zivile Opfer bei der Bundeswehr-Offensive für „sehr wahrscheinlich“.

Ein Reporter-Team von MONITOR konnte in der Region südwestlich von
Kunduz eine ganze Reihe von Fällen recherchieren. Knapp ein halbes
Jahr nach dem Abzug der Bundeswehr ist die Region wieder verstärkt
unter Kontrolle der Taliban. Dennoch gelang es dem Fernsehteam mit
Angehörigen der Opfer zu sprechen. Sie schildern, wie ihre
Familienmitglieder während des viertägigen Gefechtes zwischen der
Bundeswehr und den Taliban ums Leben kamen. So berichtet
beispielsweise der Lehrer Ajmal, dass er während der Operation
„Halmazag“ seinen Sohn verloren hatte: „Eines der schweren Geschosse
hat das Zimmer getroffen. Dabei kam mein Sohn ums Leben und wir
wurden schwer verwundet“. Unter den Opfern des Gefechts sind nach
Aussagen der Bewohner mindestens zwei tote Kinder.

Die Bundeswehr hatte stets erklärt, dass es sowohl während als
auch nach der Operation „Halmazag“ Treffen mit Dorfältesten gegeben
habe. Dabei „gab es auch nach explizitem Nachfragen keine
Erkenntnisse über zivile Opfer“, so die Bundeswehr. Allerdings war
nach MONITOR-Recherchen ausgerechnet einer der wichtigsten Ältesten
des gesamten Distrikts, der MONITOR gegenüber zivile Opfer bezeugt,
über das Treffen nicht informiert worden. Ein weiterer Ältester, der
bei dem Treffen dabei war, erklärte gegenüber MONITOR, dass er die
Bundeswehr explizit auf einen toten Zivilisten hingewiesen habe.

Bei dem Opfer handelt es sich um Mohammad Azim. Er wurde während
des Gefechts angeschossen und soll von der Bundeswehr anschließend
sogar medizinisch versorgt worden sein. Das bestätigen sowohl seine
Witwe als auch der Polizeichef des Distrikts Char Darrah gegenüber
MONITOR: „Die Deutschen haben ihn für die Behandlung ins Feldlager
der Bundeswehr transportiert, wo er bedauerlicherweise gestorben
ist“, so der Polizeichef. Die Bundeswehr habe dafür sogar
Kompensation versprochen. Auch von diesem Toten ist in den Berichten
der Bundeswehr keine Rede.

Die Operation „Halmazag“ gilt als erste militärische
Offensiv-Operation der Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg. Bei dem
viertägigen Gefecht wurden auch Artillerie, Kampfflugzeuge,
Schützenpanzer und Kampfhubschrauber eingesetzt. Auch ein am Gefecht
beteiligter Soldat spricht gegenüber MONITOR davon, dass es sehr
wahrscheinlich sei, dass es zivile Opfer gegeben habe: „Angesichts
der Tatsache […] dass es um ein Gebiet ging, dass fünf Dörfer
umfasste, wo unmittelbar Gefechtshandlungen stattgefunden haben,
halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass entweder Zivilisten noch
in diesem Bereich waren oder auch welche getroffen worden sein
könnten“, so der ehemalige Soldat.

Angesichts der Rechercheergebnisse von MONITOR fordert die
verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Agnieszka Brugger, nun
dringend eine Aufklärung: „Es stellt sich die Frage, ob man hier
nicht so genau hinschauen konnte oder nicht so genau hinschauen
wollte, ob es zu zivilen Opfern gekommen ist“, sagte Brugger im
MONITOR-Interview. Darüber hinaus fordert sie eine Untersuchung auch
bei weiteren Bundeswehr-Einsätzen in Afghanistan. Dabei müsse
insbesondere der Frage nachgegangen werden, „ob es Verwundete und
Tote innerhalb der Zivil-Bevölkerung nach solchen Operationen“
gegeben hat.

Das Bundesverteidigungsministerium hat auf mehrere Anfragen der
MONITOR-Redaktion bisher nicht geantwortet.

Pressekontakt:
Annette Metzinger
WDR Presse und Information
0221 220 7100
wdrpressedesk@wdr.de

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