Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL gab der „Welt“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte JOCHEN GAUGELE:
Frage: Wem gehört das Ergebnis von Schleswig-Holstein – Wolfgang Kubicki oder Philipp Rösler?
NIEBEL: Wir gewinnen zusammen und wir verlieren zusammen. Aber es ist völlig klar, dass Wolfgang Kubicki und sein Team den Hauptanteil an diesem Erfolg haben. Wir haben den Einstieg in eine Trendwende geschafft, die wir am Sonntag in Nordrhein-Westfalen verstetigen wollen. Und dort haben wir einen brillanten Wahlkampfhelfer: Herrn Röttgen, den Spitzenkandidaten der CDU. Wir laden alle enttäuschten Unionsanhänger dazu ein, für die FDP zu stimmen.
Frage: Braucht die FDP mehr Kubicki?
NIEBEL: Die FDP ist immer dann besonders attraktiv, wenn sie Ecken und Kanten hat. Das bedeutet auch für den Bund: Wir sind als Regierungspartner vertragstreu und handeln nach dem, was wir vereinbart haben. Aber wir geben unsere Eigenständigkeit nicht an der Koalitionsgarderobe ab. Das müssen wir deutlicher machen als bisher.
Frage: Man könnte Schleswig-Holstein auch anders deuten: Es ist die fünfte Wahl, seit Rösler die FDP führt – und die Liberalen verlieren die nächste Regierungsbeteiligung…
NIEBEL: Das kann man natürlich auch so sehen. Aber die Parteienlandschaft hat sich verändert. Regierungsbildungen werden schwieriger. Man wird mehr Schnittmengen mit anderen Parteien suchen müssen, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Wir werden mit großem Interesse beobachten, was passiert, wenn SPD, Grüne und SSW in Kiel ihre Koalitionsgespräche beginnen.
Frage: Hoffen Sie noch auf eine Regierungsbeteiligung in Kiel?
NIEBEL: Die FDP in Schleswig-Holstein wird selbst sehen, ob sich Möglichkeiten ergeben, liberale Inhalte durchzusetzen. Ich mische mich da nicht ein.
Frage: Der Bundestrend bleibt besorgniserregend. Und es kursieren Putschgerüchte …
NIEBEL: Das ist Unsinn. Eine Partei sollte sich, wenn sie erfolgreich ist, nicht unnötig von außen Personaldiskussionen ans Bein binden lassen. Und der Bundestrend verbessert sich.
Frage: Kubicki sagte es so: Rösler könne beruhigt schlafen. Im Mai gebe es keinen Putsch…
NIEBEL: Wolfgang Kubicki hat in der ihm eigenen, bemerkenswert charmanten Art gesagt, was ein Faktum ist. Ich persönlich habe von Putsch – außer in den Medien – überhaupt nichts gehört.
Frage: Hat Rösler das Format, die Liberalen in die bevorstehende Bundestagswahl zu führen?
NIEBEL: Jemand, der von den Delegierten des Bundesparteitags der Freien Demokratischen Partei zum Vorsitzenden gewählt worden ist, hat immer das Format, die Partei in einen Wahlkampf zu führen.
Frage: Auch wenn nicht einmal jeder fünfte Bürger mit seiner Arbeit zufrieden ist?
NIEBEL: Ich glaube nur noch einer Umfrage – und das ist die am Wahltag. Schleswig-Holstein hat deutlich gezeigt, dass die FDP benötigt wird.
Frage: Würde ein Sieg in NRW die Aussichten Röslers verbessern?
NIEBEL: Jeder Sieg verbessert die Lage der Partei und damit auch ihres Vorsitzenden.
Frage: Verfügt die FDP über eine Führungsreserve?
NIEBEL: Selbstverständlich hat die FDP – wie jede Partei – eine Führungsreserve. Aber das heißt nicht automatisch, dass man sie einsetzen muss.
Frage: Der Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher hält Christian Lindner für den Mann der Zukunft. Geht es Ihnen genauso?
NIEBEL: Christian Lindner ist 33 Jahre alt. In der Zukunft hat er jede Chance, jedes Parteiamt zu gewinnen. Aber jetzt hat er gesagt, dass er seine politische Zukunft in Nordrhein-Westfalen sieht. Das ist ein klares und starkes Signal für eine Stabilisierung nach seinem Rücktritt als Generalsekretär.
Frage: Sie haben Lindners Rücktritt seinerzeit als Chance für die FDP beschrieben…
NIEBEL: Das zeigt wieder einmal: Das Ende einer Epoche muss nicht das Ende einer Ära sein.
Frage: Am Sonntag jährt sich der Wechsel an der Parteispitze. Hat sich der Sturz von Guido Westerwelle ausgezahlt?
NIEBEL: Ich habe von Anfang an kein Hehl daraus gemacht, dass ich die Ablösung von Guido Westerwelle für falsch gehalten habe. Man hat sich davon erhofft, die FDP weit über fünf Prozent zu stabilisieren. Das ist bisher nicht gelungen. Trotzdem gilt: Entweder man stützt einen Vorsitzenden oder man stürzt ihn. Und ich habe mich entschieden, den Vorsitzenden zu stützen.
Frage: Sollte der Außenminister wieder eine größere Rolle in der FDP spielen?
NIEBEL: Guido Westerwelle ist hervorragend im Auswärtigen Amt angekommen. Gleichzeitig ist er eine Wahlkampflokomotive. Er hat sich schon in die jüngsten Wahlkämpfe sehr stark eingebracht. Das tut uns allen gut.
Frage: Mit welchen Themen will die FDP die nächste Bundestagswahl gewinnen?
NIEBEL: Die Entlastung der Bürger bleibt auf der Agenda – kombiniert mit solider Haushaltsführung. Wir werden den Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten nicht halten können, wenn wir auf Pump leben, wie das in Griechenland oder in Nordrhein-Westfalen der Fall ist.
Frage: „Wachstum“, Röslers Leitmotiv, könnte unversehens zur Chiffre für europäische Konjunkturprogramme werden…
NIEBEL: Wir müssen natürlich deutlich machen, dass es nicht um Ausgabenwachstum gehen soll, sondern um qualitatives Wachstum von Wirtschaft und Gesellschaft. Wir müssen besser herausarbeiten, dass Wachstum in alle Politikfelder hineinspielen kann.
Frage: Worauf darf sich die Kanzlerin in den nächsten Wochen einrichten?
NIEBEL: Dass sich die FDP an den Koalitionsvertrag hält, dies aber auch von CDU und CSU erwartet. Darüber hinaus werden wir deutlich machen, dass wir eine eigenständige Partei sind. Wir werden über Themen, die nicht geregelt sind, regelmäßig eine politische Diskussion führen. Wir werden keinen Zweifel daran lassen, wofür die FDP steht.
Frage: Nach einem Zusammenspiel zwischen Wunschpartnern klingt das nicht…
NIEBEL: Wir haben eine ausreichende Basis für gemeinsames Regierungshandeln und ich wünsche mir, dass wir nach einer erfolgreichen Legislaturperiode diese Koalition fortsetzen können.
Frage: Danach sieht es nicht aus. Sehen Sie eine Machtperspektive mit SPD und Grünen?
NIEBEL: Es gibt immer andere Möglichkeiten. Aber man muss nicht in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah.
Frage: Herr Niebel, sind Sie eigentlich froh, dass Sie nicht promoviert haben?
NIEBEL: Viele schreiben mich auch so mit Dr. Niebel an. (lacht) Frage: Plagiatsjäger würden Ihre Doktorarbeit unter die Lupe nehmen…
NIEBEL: Ich glaube, da hätte ich nichts zu befürchten.
Frage: Wie beurteilen Sie es, wenn ausgerechnet die Wissenschaftsministerin unsauber arbeitet?
NIEBEL: Heutzutage kann jeder mit Dreck um sich schmeißen nach dem Motto: Irgendwas wird schon hängen bleiben. Ich kenne weder die Dissertation von Frau Schavan noch von anderen Kollegen. Ich habe aber den Eindruck, dass es Mode wird, Leute an den Pranger zu stellen. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung.
Frage: Was erwarten Sie von Schavans Kritikern?
NIEBEL: Von anonymen Vorwürfen halte ich überhaupt nichts.
Frage: Wozu raten Sie Ihrer Kabinettskollegin?
NIEBEL: Zur Gelassenheit. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Ulla Faets
FDP-Bundesgeschäftsstelle
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