Neue OZ: Kommentar zu China / Leute / Kunst

Kunst des Harmlosen

Brechts Verse „An die Nachgeborenen“ sind ein Klassiker zur Kunst
in der Diktatur: „Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über
Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele
Untaten einschließt!“ Die These ist geläufig: Wer sich im
Unrechtsstaat auf eine Kunst des Harmlosen verlegt, wird mitschuldig.

Das Beispiel von Ai Weiwei zeigt, dass auch der Umkehrschluss
möglich ist: Ein Staat, der die freie Meinung unterdrückt, macht
harmlose Kunst unmöglich. Der Regimekritiker spielt den Effekt
bewusst aus, wenn er seine Atelierschließung in betonter Unschuld mit
einer Krebsmahlzeit feiert. Jeder Einheimische hört die Botschaft –
weil im chinesischen Wort für Flusskrebs auch die Zensur anklingt.
Und doch kann der Staat nicht eingreifen, ohne den Zusammenhang
selbst zu artikulieren. Der Künstler zwingt den Zensor, seine Schande
zu benennen.

Doch vermutlich wäre das Wortspiel nicht einmal nötig: Mit der
Polizeigewalt gegen den Künstler hat China selbst das Bezugssystem
für Ai Weiweis Arbeit geschaffen: Was immer er auch produziert, das
Publikum wird die Kritik darin suchen – und finden.

Pressekontakt:
Neue Osnabrücker Zeitung
Redaktion

Telefon: 0541/310 207

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