Im Ringen zwischen Russland und der Ukraine um die
Krim, das nach dem Referendum vom Sonntag faktisch entschieden
scheint, geht es natürlich auch um das Schicksal dieser
geschichtsträchtigen Halbinsel und noch mehr um die Zukunft einer
zerrissenen Ukraine. Aber die entscheidende Frage ist eigentlich eine
andere: Wohin geht dieses Russland? Die dramatischen Ereignisse der
vergangenen Wochen in Kiew und Simferopol haben dort Entwicklungen
beschleunigt, die schon länger im Gange waren: das Wachstum eines
ressentimentbeladenen, aggressiven Nationalismus; die zunehmende
Konfrontation mit den USA und der EU; die Unterdrückung von
Oppositionellen und Andersdenkenden; und der Ausbau eines von Öl und
Gas getriebenen Staatskapitalismus, in dem Korruption immer mehr und
Marktwirtschaft immer weniger Platz findet. Das ist zwar vor allem,
aber nicht ausschließlich Wladimir Putins Werk. Denn alle Berichte
und Umfragen zeigen, dass seine Krim-Politik und sein grundsätzlicher
außenpolitischer Kurs auf breite Zustimmung in der Bevölkerung, bei
den Wirtschaftseliten und auch in der Intelligenzija stoßen. Für
manche Beobachter ist dies eine unvermeidliche Entwicklung: Nach
einem kurzen liberalen, aber chaotischen Frühling kehrt Russland zu
jener rückgewandten, nationalistischen und isolationistischen
Geisteshaltung zurück, die im Zarenreich genauso wie unter dem
Kommunismus vorgeherrscht hat. Wenn das stimmt, dann wird sich
Russland immer mehr vom Westen, politisch, kulturell und ökonomisch
entfernen, dann ist ein neuer kalter Krieg unvermeidbar. Aber dieses
pessimistische Bild ist zumindest nicht vollständig. Die relativ
großen Demonstrationen gegen Putins Kriegskurs auf der Krim am
Wochenende in Moskau machen deutlich, dass seit 1991 doch eine
selbstbewusste Bürger- und Zivilgesellschaft gewachsen ist, die sich
nicht mehr so leicht zurückdrängen lässt. Auch die russische
Wirtschaft kann sich nicht mehr so einfach vom Rest der Welt
abkoppeln wie einst die sowjetische Planwirtschaft. Denn Putins
Herrschaft beruht, anders als die der KPdSU, weder auf ideologischem
Eifer noch auf Terror, sondern auf der Aussicht auf ein Leben in
Wohlstand und Sicherheit. Und das geht nur durch den regen
internationalen Austausch von Gütern, Kapital und Ideen. Deshalb
haben Barack Obama und Angela Merkel ganz recht, wenn sie Putin
warnen, dass Russland einen hohen Preis für seine Aggression bezahlen
werde. Unklar ist jedoch, ob diese Kosten früh genug spürbar werden,
damit sie Putins Herrschaft und Popularität untergraben. Der Westen
steht daher vor einer schwierigen Gratwanderung. Sein Ziel muss es
sein, Russland wieder in Richtung Westen zu ziehen. Im Idealfall
können effektive Sanktionen, die nicht nur die Bevölkerung, sondern
auch die Eliten treffen, dazu beitragen. Aber wenn solche Maßnahmen
bloß die Verbitterung und die Isolation in Moskau verstärken, dann
nützt das niemandem, am allerwenigsten der Ukraine. Es gibt daher
keine eindeutig richtige Antwort auf Putins Krim-Kurs. Und eines
müssen sich alle Entscheidungsträger im Westen bewusst sein: Wohin
Russland steuert, hängt nur im geringen Umfang von Worten und Taten
in Washington oder Brüssel ab. Entscheidend ist, ob die Russen selbst
Putin weiterhin in die Vergangenheit folgen oder sich wie die Massen
vom Maidan doch für den Westen entscheiden.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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