DER STANDARD-Kommentar: „Weg mit systematischem Irrsinn“ von Andrea Heigl

Wenn Ärzte demonstrieren, dann ist die
(standes)politische Gemengelage meistens diffus. Die Aufgeregtheit in
Weiß setzt sich zusammen aus einem Fünkchen Wahrheit, aus den
schlimmsten daraus abzuleitenden Horrorszenarien und aus (legitimen)
Ärzteinteressen, die für die Öffentlichkeit zwecks leichterer
Verdaubarkeit als Patienteninteressen dargestellt werden.

Wenn am Dienstag die Ärzte des Wiener AKH auf die Straße gehen,
dann geht es auf den ersten Blick um ein ganz konkretes Anliegen,
nämlich um die Streichung von Journal-Nachtdiensten, wegen der die
Ärzte die Versorgung in Österreichs größtem Krankenhaus als gefährdet
betrachten. Ebenso wie bei den jüngst vom Rechnungshof angeprangerten
Kostenüberschreitungen steckt dahinter ein Problem, das unlösbar
scheint: Das AKH ist ein einziges Kompetenzchaos. Das
Gesundheitsministerium, das Wissenschaftsministerium, die Wiener
Stadtregierung und der Krankenanstaltenverbund, die Medizin-Uni, die
Ärztekammer – sie alle haben mehr oder weniger mitzureden. Da nützt
es nichts, wenn die (Wiener) Opposition in schöner Regelmäßigkeit den
Rücktritt verschiedener Verantwortlicher fordert, das AKH bleibt ein
unsteuerbarer Tanker, der immer wieder einen Eisberg rammt.

Zum Glück spielt sich Gesundheitspolitik aber auch außerhalb des
neunten Wiener Bezirkes ab. Und mit den Papieren, die so schöne Namen
wie „Bundeszielsteuerungsvertrag“ haben, ist man tatsächlich auf
einem guten Weg, den einen oder anderen strukturellen Irrsinn zu
beseitigen. Es schien lange unvorstellbar, dass sich die
Krankenkassen bei ihren Stellenplänen etwas dreinreden lassen oder
dass sich die Länder bei der Planung von Krankenhäusern mit anderen
Stakeholdern abstimmen müssen. Aber genau das passiert nun. Jeder hat
ein bisschen nachgegeben, und doch fühlen sich alle als Gewinner.

Wenn tatsächlich gelingt, was in besagten Papieren steht, dann
könnte es in Österreich bald Arztpraxen geben, die ganz regulär am
Abend oder am Wochenende geöffnet haben. Oder medizinische Zentren
für Diabetes- oder Demenzkranke, in denen Krankenpfleger, Fachärzte
und Sozialarbeiter gemeinsam tätig sind. Die Ambulanzen könnten jenen
vorbehalten sein, die ein akutes Leiden haben, was das Leben von
Patienten und Ärzten ungemein erleichtern würde. Kleine Eingriffe
könnten in Tageskliniken erledigt, die Krankenhaustage damit
reduziert werden. Und auch wenn es gar nicht populär ist, im
Gesundheitssystem zu sparen oder (genauer gesagt) den Kostenanstieg
zu dämpfen: Viele der Reformvorhaben klingen wie aus dem Programm
eines Wunschkonzerts für Gesundheitsökonomen.

Bleibt das Thema Prävention, an dessen stiefmütterlicher
Behandlung sich wenig geändert hat. Es gibt nun zwar ein wenig mehr
Geld dafür, die großen Konzepte fehlen aber – siehe Rauchen,
Bewegung, Alkohol, alles Kategorien, in denen die Österreicher nicht
gut abschneiden. Sie haben weniger gesunde Lebensjahre vor sich als
viele andere Europäer, die Schere zur Lebenserwartung geht auf. Auch
das ist letztlich ein finanzielles Thema: Wer nicht krank ist, kostet
(fast) nichts, so einfach ist das.

2013 war das Jahr der Verhandlungen und Papiere, 2014 müssen die
Reformer faktische Zeugnisse ablegen. Und wenn sie schon dabei sind:
Es wäre höchste Zeit für einen Systemwechsel im AKH.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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