DER STANDARD-Kommentar: „Regierung mit Bart“ von Michael Völker

Österreich als Hort der Freiheit und Toleranz, ein
Leuchtturm der gegenseitigen Wertschätzung. Ein schwarzer Fußballer
als gefeierter Star, eine Drag Queen gewinnt für Österreich den Song
Contest, beide gelten als Nationalhelden. Mit bewundernder
Anerkennung blickt das liberal gesinnte Ausland auf unser kleines,
liebes Land. Die Euphorie um Conchita Wurst verstellt allerdings die
Sicht auf die Wirklichkeit: Österreich ist keineswegs so tolerant,
wie es viele gerne hätten. Rassismus und Homophobie sind nach wie vor
latent, in der Politik wie in der Bevölkerung. Die Neger, die
Ausländer, die Schwulen taugen immer noch als vertraute Feindbilder,
in denen breite Bevölkerungsschichten, getragen auch von Teilen der
Politik, ihren Konsens finden.

Dass es jetzt eine Frau mit Bart gibt, die fast alle mögen und die
uns gerade noch nicht auf die Nerven geht, ist ein Phänomen, aber
kein Befund für die Situation im Land. Im Erfolg viele Freunde zu
haben, ist keine große Kunst. Gerade der Mensch, der hinter dieser
Kunstfigur steckt, hat in den vergangenen Monaten mehr als
ausreichend Erfahrung mit Hass, Ablehnung und offenen Anfeindungen
gemacht. Auch das ist eben Österreich.

Immerhin: Frau Wurst bringt Bewegung in die politische Debatte,
und die Gemeinschaft der Lesben, Schwulen und Transgender-Personen
fordert mit neuem Selbstbewusstsein Rechte ein – gleiche Rechte wie
andere. Ob das noch immer alle so lieb und toll finden, die jetzt
Frau Wurst adorieren? Die Regierung bringt das ordentlich in
Bedrängnis. Die SPÖ würde ja gerne, aber sie muss Rücksicht auf ihre
Wähler nehmen, die nicht unbedingt regelmäßige Teilnehmer der
Regenbogenparade sind. Dass Kanzler Faymann jetzt überlegt, Frau
Wurst auf den Balkon des Kanzleramtes einzuladen, wie einst Bruno
Kreisky Karl Schranz, ist herzig, birgt aber ein gehöriges Potenzial
an Peinlichkeit in sich. Das ist einfach zu viel der Anbiederung.

Die ÖVP erwischt die neu aufgeflammte Debatte überhaupt am
falschen Fuß. Ein bisschen bewegen will sich Michael Spindelegger ja,
aber nicht so schnell und nicht so weit.

Die Lebensgemeinschaften gleichgeschlechtlicher Menschen sind in
Österreich rechtlich immer noch nicht jenen heterosexueller Menschen
gleichgestellt. Da gibt es eine ganze Reihe von Unterschieden und
Diskriminierungen. Die beiden auffälligsten Benachteiligungen:
Gleichgeschlechtliche Paare können eine „eingetragene Partnerschaft“
eingehen, mit Spindeleggers zögerlichem Segen bald auch auf dem
Standesamt, aber sie dürfen nicht heiraten. Gleichgeschlechtliche
Paare können zwar Pflegekinder aufnehmen, sie dürfen aber keine
Kinder adoptieren. Ein kleines Detail, das gut den Unterschied
illustriert: Für homosexuelle Paare gibt es einen „Nachnamen“, nicht
aber einen „Familiennamen“. Da kann die ÖVP dann doch nicht mit.
Klar. Die Familie ist heilig. Für gleichgeschlechtliche Paare gilt
das offenbar nicht.

Dass die Politik jetzt über die institutionalisierte
Diskriminierung homosexueller Menschen reden muss, ist gut. Dass die
Regierung unter Zugzwang gerät, ist gut. Nur: Die ÖVP ist noch nicht
so weit. Vielleicht sind auch Teile der Bevölkerung noch nicht so
weit – und die Euphorie um Conchita wird abklingen. Aber wenn eine
Frau mit Bart dazu beiträgt, dass Faymann und Spindelegger einander
an der Hand nehmen und ein paar Schritte gemeinsam gehen, ist schon
viel erreicht.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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