Fast auf den Tag genau fünf Monate nach den
Europawahlen hat Jean-Claude Juncker ein erstes Ziel erreicht. Seine
Kommission wurde vom EU-Parlament mit einer komfortablen Mehrheit
bestätigt. Vielen erscheint das viel zu lange zur Bildung einer
„Regierung“ in Brüssel. Aber die Regeln des geltenden EU-Vertrages
geben nicht viel mehr her. Es müssen bei 28 Staaten ziemlich viele
Einzelinteressen abgearbeitet werden. Dazu kommt, dass die nationalen
Regierungschefs den Auswahlprozess stark bremsten, weil sie zuerst
den Spitzenkandidaten und Wahlsieger Juncker lange nicht als nächsten
Präsidenten bestätigen wollten, dann bei der Kandidatennominierung
auch noch viel Pfusch vorlegten – etwa kaum Frauen vorschlugen.
Aber das Parlament hat seinen Willen letztlich durchgesetzt, so
wie Juncker stark in die Personalauswahl eingegriffen hat. Es gäbe
also einigen Reformbedarf, um den Bestellungsvorgang qualitativ
besser und effizienter zu gestalten – auch bei den Anhörungen im
EU-Parlament. Bei manchen parteitaktischen Spielchen der Abgeordneten
und willkürlichen Befragungskriterien gehörte nachgebessert.
Aber es ist im Prinzip schon jetzt nicht schlecht, wie sehr eine
neue Kommission öffentlich getestet wird. So können sich
interessierte Bürger seit Wochen ein Bild vom politischen Programm
machen, das sie erwartet, von Personen und Parteien.
Die Juncker-Kommission kann sich in den nächsten Jahren der
Unterstützung vonseiten dreier berechenbarer Fraktionen in Straßburg
sicher sein – der Christdemokraten, der Sozialdemokraten und der
Liberalen. Auch wenn Mehrheiten bei bestimmten Gesetzesmaterien auch
noch nach nationalen Interessen schwanken: Diese politischen Lager
sind es, die die künftige Politik in Brüssel tragen.
Das bildet sich in der Zusammensetzung des Kommissarsteams so ab.
Fast die Hälfte der Kommissare kommen aus der EVP, die die Wahlen
gewonnen hat. Etwa ein Drittel sind Sozialdemokraten. Ein halbes
Dutzend entstammt liberalen Parteien – darunter auffallend viele
Frauen, die starke „Portfolios“ (sozusagen die Ministerien in
Brüssel) führen werden. Juncker hat darauf bestanden und im Parlament
wieder betont, wie lächerlich gering der Frauenanteil mit neun von 28
Kommissaren ist.
Die andere, die politische Seite seiner geplanten
Gestaltungsarbeit ist noch wichtiger. Wenn er einhält, was er
versprochen hat, steht in Brüssel ein echter politischer Kurswechsel
bevor. Er hat drei Hauptaspekte. Erstens: Es beginnt bei der Sprache.
Anders als sein Vorgänger José Manuel Barroso redet Juncker einfach,
langsam, ohne Technokratenkauderwelsch, sodass einfache Bürger seine
Politik verstehen können. Anders als Barroso versteht er „seine“
Kommission nicht als Verwaltung, sondern als Gegengewicht zu den
nationalen Regierungen. Das verspricht zweitens ein_Mehr an
europäischer Demokratie, wenn er sein Versprechen einhält, das
EU-Parlament als gleichrangig zu betrachten.
Die dritte Änderung: Juncker hat das Ende der reinen Sparpolitik
ausgerufen, des Fetischismus für Wirtschafts- und Währungspolitik,
die wenig Rücksicht auf die soziale Lage der Menschen, auf die
Bedürfnisse breiter Gesellschaftsschichten nimmt. Ökologie kommt
jedoch viel zu kurz. Das wird ihm Riesenärger mit Deutschland
einbringen. Aber Europa wird es trotzdem guttun. Der Mensch muss in
der EU im Mittelpunkt stehen.
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