DER STANDARD-Kommentar: „Im Land bestellter Wahrheiten“ von Christoph Prantner

Es ist nichts passiert. Nach drei Stunden war er ja
wieder frei, konnte ungehindert seiner Arbeit als Reporter nachgehen.
Ein paar Polizeibeamte haben einfach über-reagiert. In der
angespannten Atmosphäre von Ferguson kann das schon passieren.
Immerhin herrscht Ausnahmezustand, es war die x-te Nacht
gewalttätiger Krawalle.

All das könnte man behaupten. Denn die Vereinigten Staaten sind
ein zivilisiertes Land, keine autoritäre Bananenrepublik. Die
Festnahme unseres USA-Korrespondenten Frank Herrmann und seines
Kollegen von der Welt, Ansgar Graw, möchte man denken, sei einfach
ein betrüblicher Einzelfall gewesen, ein Versehen.

Das – verstörende – Problem an dieser Version ist: Sie entspricht
nicht den Tatsachen. Was dem Standard-Reporter und seinem Kollegen in
Missouri passiert ist, ist kein Einzelfall. Es ist die jüngste
Episode im systematisch vorangetriebenen Vorhaben der Regierenden,
dem „Land of the Free“ die Freiheit gründlich auszutreiben.

1789 wurde die ersten zehn Zusatzartikel zur US-Verfassung als
„Bill of Rights“ beschlossen. Deren erster garantiert die Presse- und
Meinungsfreiheit. Daraus hat sich die amerikanische Presse als ein
unbestechliches Sprachrohr für Freiheits- und Bürgerrechte
entwickelt. Sie nahm sich ihren Raum und ließ sich durch nichts
einschüchtern. Erst unlängst erinnerte man daran, dass unerschrockene
Reporter sogar Präsidenten stürzen konnten. Richard Nixon musste
abtreten, weil niemand den Watergate-Rechercheuren in den Arm fallen
konnte, weil sich Journalisten und Verleger der Wahrheit verpflichtet
fühlten und niemandem sonst. Die Presse war frei, die Demokratie
lebendig.

Times long gone. Die US-Medien sind heute ein Schatten ihrer
selbst. Sie haben wirtschaftliche Probleme, vor allem aber die
politische Unterstützung verloren. Vor ein paar Jahren hielt der
damalige Herausgeber von USA Today, Ken Paulson, ein beeindruckendes
Referat: Er belegte, dass sich die Rollen von Journalisten in
Hollywoodfilmen im Laufe der Jahrzehnte von Helden immer mehr zu
zynischen Halbweltlern gewandelt hatten. Und: dass die Medien das
Wohlwollen von Kongress, Justiz und Gesellschaft verloren hatten.
Clark Kent und Superman? Das war einmal.

Nixons Nachfolger haben – insbesondere nach 9/11 – alles
darangesetzt, sich die Presse für ihre Zwecke herzurichten.
Aufgedeckt wird in den Staaten nur noch das, was aufgedeckt werden
soll. Watergate heute? Vergessen sie es. Als George W. Bush den
Irakkrieg vom Zaun brach, scharten sich die Zeitungen, wider besseres
Wissen und mit wenigen Ausnahmen, hinter ihm. Der Verfassungsrechtler
Barack Obama lässt Whistleblower – sechs an der Zahl und doppelt so
viele wie alle Präsidenten vor ihm zusammengenommen – mit heiligem
Eifer nach dem Espionage Act von 1917 verfolgen. Vergangenes Jahr kam
etwa gleichzeitig mit dem Snowden-Skandal auf, dass die US-Regierung
AP-Journalisten auf einen windigen Verdacht hin systematisch
überwachte.

Diese Praxis führt dazu, dass Informationsquellen austrocknen,
dass Journalisten, die Unbequemes aufdecken, als Nestbeschmutzer
gelten. Den Rest erledigen Dossiers der Nachrichtendienste, die aus
der freien eine gefügige Presse machen, aus Reportern Kolporteure
bestellter Wahrheiten – im Mutterland der Demokratie.

Ferguson, ein Versehen? Es wäre schön, könnte man das behaupten.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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