DER STANDARD-Kommentar: „EU hat Osteuropa wieder vergessen“ von Thomas Mayer

Viktor Orbán ist nicht nur einfach ein Siegertyp.
Ungarn Premierminister hat vor allem einen riskanten Charakter. Seit
seiner triumphalen (Wieder-)Wahl im Jahr 2010, als seine Partei die
verfassungsgebende Zweidrittelmehrheit im Parlament errang, hat er
sich als ein Politiker erwiesen, der viel mehr will als nur Wahlen
gewinnen und regieren.

Das wird sich nach den jüngsten Wahlen nicht ändern. Orbán möchte
alles Geschehen in seinem Land dominieren, indem er das
Zuwiderlaufende ausschaltet. Er will das Ideal westlicher Demokratien
vom ständigen Wechsel, dem Auspendeln der Macht verschiedener
Parteien bei gleichzeitigem Gebot des Schutzes von Minderheiten so
weit es geht unterlaufen. Ausgerechnet er, der Fidesz-Anführer, der
als junger Mann im Frühjahr 1989 gegen den kommunistischen
Herrschaftsanspruch, für die Demokratie in Ungarn kämpfte, den Abzug
sowjetischen Militärs forderte!

Aber Orbán hat in den 25 Jahren, in denen Ungarn frei und
demokratisch wurde, 1999 der Nato und erst 2004 der EU beitrat, eine
fast unglaubliche Wandlung durchgemacht: zu einem autoritären
Politiker, der Widerspruch nicht duldet. Das Ergebnis von Wahlen ist
selbstverständlich zu akzeptieren. Das heißt aber nicht, dass jede
Machtausübung unbestritten bleibt.

Auch wenn Orbán seine Ziele mit Mitteln der Demokratie –
Verfassungsmehrheit – durchsetzte, blieb stets eine dubiose Intention
im Raum; wenn er antisemitische Pöbeleien von Rechtsextremen duldete
oder Angriffe von Populisten auf freie Medien sogar förderte. Genau
deshalb ist er mit den EU-Partnern, vor allem mit der EU-Kommission
als Hüterin der EU-Verträge und der Grundrechtscharta in Konflikt
geraten. Erst auf deren Druck hin und nach Erkenntnissen des
EU-Höchstgerichts mussten ungarische Gesetze wieder „repariert“ –
EU-konform gemacht – werden.

Aber das Problem geht tiefer. Orbán hat eigentlich nie zu
verstehen gegeben, dass er dies eingesehen hätte, im Gegenteil: Er
provoziert immer weiter.

Genau das, dieses innerliche Nicht-Akzeptieren der Regeln einer
toleranten freien EU-Demokratie, muss man nun auch für die Zukunft im
Auge behalten. Die Gefahren eines „System Orbán“ sind nicht nur auf
Ungarn beschränkt. Zehn Jahre nach der großen EU-Erweiterung mit der
Aufnahme von acht Ländern zeigen sich viel Risse im Verständnis der
Demokratie, im Westen, aber vor allem in Osteuropa.

Siehe Slowakei. Dort gibt es mit Premierminister Robert Fico eine
Art „Orbán von links“. Er ist jedoch vor einer Woche mit dem
Allmachtsanspruch seiner Smer-Partei gescheitert. Nicht er, sondern
ein Politeinsteiger wurde aus dem Stand Präsident, der Milliardär
Andrej Kiska, ein populistischer „Anti-Politiker“ – eher kein Zeichen
politischer Beständigkeit. Während sich das lange instabile
Tschechien nach Korruptionsskandal und Machtwechsel zuletzt etwas zu
beruhigen schien, schauen viele auch nach Rumänien, wo der
sozialistische Premier Viktor Ponta sich mit allen Tricks und
dubiosen Dekreten die Macht sicherte.

In Nachbarschaft der Ukraine sei die „Teil-Putinisierung
Mitteleuropas“ festzustellen, bemerkte Karl-Peter Schwarz treffend in
der Frankfurter Allgemeinen. Vom „Haus Ungarn“ oder dem „Haus
Slowakei“ ist die Rede. Da ist was dran. Fixiert auf die Eurokrise,
hatte die Union die Probleme der Demokratie in den neuen EU-Ländern
viel zu lange ignoriert. Da ist viel mehr Aufmerksamkeit und
Austausch nötig.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

*** OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS – WWW.OTS.AT ***

Sie muessen eingeloggt sein um einen Kommentar zu schreiben Einloggen