Kaum ist die letzte Silhouette eines US-Soldaten über
die Grenze nach Kuwait verschwunden, präsentiert sich der Irak in
seiner ganzen Dysfunktionalität: eine politische Krise, die sich
entlang konfessioneller Linien abspielt, und dazu ein ebenso
orientierter Gewaltausbruch.
Die Attentäter, die am Donnerstag zwölf Bomben gleichzeitig zündeten,
rückten die gegenseitigen Beteuerungen von amerikanischen und
irakischen Offiziellen, die Sicherheitslage im Irak sei unter
Kontrolle, ins rechte Licht. Und für die Widerlegung der Behauptung,
dass der Irak politisch stabil sei, sorgt die irakische Regierung
selbst. Ein von der schiitisch kontrollierten Justiz ausgestellter
Haftbefehl gegen den arabisch-sunnitischen Vizepräsidenten, der sich
nach Kurdistan flüchtet, worauf der schiitische Premier den Kurden,
die mit ihm in der Regierung sitzen, droht und darüber hinaus
ankündigt, den Iraqiya-Block, der die Interessen der Sunniten
vertritt, aus der Regierung zu werfen: Das ist die Situation in
Kurzfassung.
Dazu kommt die ästhetische Verirrung von Premier Nuri al-Maliki, das
Publikum von der Schuld Hashimis überzeugen zu wollen, indem er
TV-Geständnisse von Verhafteten ausstrahlen lässt. Allerdings sind
diese Methoden aus einer anderen Zeit nicht alleine Domäne des Irak:
In Syrien lässt Bashar al-Assad Rebellen im Fernsehen vorführen, und
die Rebellenarmee „Free Syrian Army“ macht das Gleiche mit ihren
Gefangenen. Ägyptens Militärrat zerrt gar Straßenkinder aus Kairo ins
TV-Studio, die bezeugen müssen, sie seien dafür bezahlt worden, um
die jüngsten Unruhen anzuzetteln.
Aber zurück zum Irak: Zu meinen, US-Präsident Barack Obama würde sich
nun seufzend „Hinter mir die Sintflut“ denken, wäre völlig verfehlt.
Washington ist äußerst besorgt: Als Krisenfeuerwehr wurde sogar
CIA-Chef David Petraeus mobilisiert. Die Meldung, dass er bei einer
Iraqiya-Krisensitzung in Bagdad anwesend gewesen sei, verstärkt
jedoch die Paranoia in schiitischen Kreisen.
Petraeus war nach 2005 entscheidend am US-Politikwechsel beteiligt,
der dabei half, die arabischen Sunniten wieder aus der Sackgasse zu
holen, in welche die USA sie nach 2003 selbst getrieben hatten.
Maliki hat diese Politik immer nur zähneknirschend mitgetragen und
gewisse US-Forderungen unterlaufen, etwa jene, den sunnitischen
Anteil in der jetzt schiitisch dominierten Armee zu stärken. Dass
Maliki nach dem US-Abzug aber nicht einmal eine Höflichkeitsfrist
verstreichen lässt, bis er gegen seine politischen Gegner losgeht,
kommt selbst für Pessimisten überraschend.
Obama wird nun noch mehr unter Beschuss der Republikaner dafür
geraten, dass es ihm nicht gelungen ist, die US-Armeepräsenz im Irak
zu verlängern. Keine Missverständnisse: Obama wollte das,
Wahlversprechen hin oder her. Aber Maliki wollte nicht – und seine
Freunde in Teheran schon gar nicht.
Sie alle wissen, dass der Sturz Assads und die folgende Stärkung der
Sunniten in Syrien und im Libanon auch die schiitische Übermacht im
Irak bedroht. Ein komplettes Rollback – wie sich das Saudi-Arabien
wünscht – wird es zwar bestimmt nicht geben, das wäre ja auch
demokratiepolitischer Unsinn. Aber dass die USA sich aus dem Irak
just in einem Moment zurückziehen, in dem die Verdrängung des Iran
aus den arabischen Ländern Gestalt annimmt, könnte sich als
strategischer Fehler erweisen.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
Sie muessen eingeloggt sein um einen Kommentar zu schreiben Einloggen