Gibt es irgendein Politikfeld, das sich nicht durch
eine engere Kooperation auf EU-Ebene besser lösen lässt? Von der
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Verhinderung von Bankenkrisen
bis zur Einwanderungspolitik, der Energieversorgung oder dem Umgang
mit Russland – überall sind die Erfolgschancen besser, wenn es eine
gemeinsame europäische Strategie gibt. Und die ist nur möglich, wenn
EU-Institutionen mehr Kompetenzen erhalten und die Mitgliedsstaaten
Macht abgeben – also die Integration vorangetrieben wird. Wenn man
den österreichischen Parteien im Europawahlkampf zuhört, dann ist von
dieser Notwendigkeit allerdings nichts zu merken. Mit Ausnahme der
Neos fordern sie „weniger Europa“ oder eine EU mit Abstrichen. Selbst
der VP-Vorzeigeeuropäer Othmar Karas wirbt mit „Besseres Europa.
Starkes Österreich“, obwohl er genau weiß, dass nur eine
institutionelle Schwächung der einzelnen Nationalstaaten – also auch
von Österreich – Europa besser machen kann. Der Grund dafür ist
einfach: Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will nicht mehr
Europa. Im besten Fall sind sie für den Erhalt des Status quo, in
vielen Fällen aber für eine Rückgabe von Zuständigkeiten an die
Staaten oder gar – siehe den Zulauf zu EU-feindlichen Rechtsparteien
– für das Ende der Union. Die Krise des Euro hat selbst die
traditionell europhilen Länder im Süden zu Skeptikern gemacht. Und
das ist das große Dilemma, das im Vorfeld dieser Europawahlen
deutlich spürbar wird: Je demokratischer die Abläufe in der EU sind,
desto weniger Europa kann es geben – und desto schlechter werden
seine Leistungen für die Bürger. Das schürt die Frustration und
Unzufriedenheit, was wiederum die demokratische Legitimität der Union
untergräbt. Der Ausweg aus dieser Zwickmühle lief bisher über eine
heimliche Integration, die von Technokraten in Brüssel am Volk
vorbeigeschummelt wurde – mit Unterstützung der nationalen
Regierungen, die über die Unverzichtbarkeit eines gemeinsamen
Vorgehens genau Bescheid wissen und sich dennoch nicht genieren,
diese ständig durch das Pochen auf Eigeninteressen zu untergraben.
Diese Vorgangsweise ist zwar demokratisch legitimiert, doch sie gibt
all jenen Munition, die Europas Eliten Abgehobenheit und Arroganz
vorwerfen. Leider hilft auch der Versuch des Europaparlaments nicht,
die Wahl zu einer Abstimmung über die zukünftige Kommission
umzufunktionieren, um diesen Widerspruch aufzulösen. Statt eines
europäischen Wahlkampfes gibt es 28 nationale Urnengänge mit lokalem
Denkzettelcharakter. Egal, welche Fraktion die meisten Sitze gewinnt,
wird weder Martin Schulz noch Jean-Claude Juncker über ein echtes
demokratisches Mandat verfügen, wie es etwa Francois Hollande, David
Cameron, Angela Merkel und sogar Werner Faymann im eigenen Land
haben. Ein Machtkampf zwischen Parlament und Regierungschefs um den
nächsten Kommissionspräsidenten könnte die EU auf Monate lahmlegen
und die Gräben zwischen den Staaten noch weiter vertiefen. Das
Einzige, was Europa zusammenhält, ist die Bereitschaft seiner
Spitzen, hinter verschlossenen Türen doch noch passable Kompromisse
zu schließen. Diese seien zögerlich, halbherzig und undemokratisch,
schimpfen die Kritiker dann laut. Aber ein Europa, das gleichzeitig
funktioniert und geliebt wird, ist nicht in Sicht.
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