DER STANDARD-Kommentar: „Angst vor Boulevard und Populisten“ von Alexandra Föderl-Schmid

Es gab ein bombastisches Feuerwerk, einen Händedruck
der Außenminister Deutschlands und Polens, Joschka Fischer und
Wlodzimierz Cimoszewicz, und die Ode an die Freude erklang. Entlang
der österreichisch-tschechischen Grenze wurden bei diversen kleineren
Festen die Nachbarn in der EU willkommen geheißen. Das war vor zehn
Jahren, als die EU am 1. Mai um acht Mitglieder aus Osteuropa sowie
Zypern und Malta anwuchs – die größte Erweiterung in der Geschichte.

Heute gibt es keine Feiern, dabei gibt es gerade aus der Sicht
Deutschlands und Österreichs Grund dazu. Die beiden Länder haben klar
von der Osterweiterung profitiert. Der befürchtete und von
Boulevardzeitungen wiederholt behauptete Anstieg der Kriminalität und
Horrorszenarien durch die Öffnung des Arbeitsmarktes sind
ausgeblieben.

Die positiven Effekte für die Wirtschaft in Österreich, das 2004
als einziger Mitgliedsstaat gleich vier neue EU-Nachbarn bekommen
hat, lassen sich beziffern: Laut Wirtschaftsforschungsinstitut macht
das zusätzliche Wachstum 2,44 Prozentpunkte aus. Seit dem Fall des
Eisernen Vorhangs ist die Wirtschaftsleistung sogar um 28,55 Prozent
gestiegen, was 480.000 Arbeitsplätze bedeutet. Die Exporte haben in
Österreich seit 2004 zugenommen. Im Finanzsektor hat man jahrelang
gute Zahlen aus Osteuropa präsentiert, auch wenn jetzt die
Schattenseiten durch den Stillstand im Aufholprozess zum Vorschein
kommen. Unter dem Strich hat Österreich stärker als Deutschland von
den „Bonanza“ im Osten profitiert.

Zu den Gewinnern zählen auch Konsumenten, weil das Preisniveau
ohne diese Entwicklungen um mehr als vier Prozentpunkte höher läge.
Durch den Öffnungsprozess hat aber der Lohndruck in Österreich
zugenommen. Der Hauptgrund ist jedoch die steigende Abgabenbelastung
– erstmals hat das Lohnsteueraufkommen die Umsatzsteuer überflügelt.

Das sind Fakten, die man in der Öffentlichkeit darstellen sollte.
Gerade der EU-Wahlkampf wäre die Gelegenheit, diese Themen offensiv
anzusprechen – Punkt für Punkt. Nur so kann man Vorurteile
entkräften, die sich zum Teil über Jahre halten. So profitiert der
heimische Tourismus durch Urlauber aus den Oststaaten. Wie würde das
Pflegesystem in Österreich aussehen, wenn es keine Hilfe aus diesen
Ländern gäbe? Der Zuzug aus Staaten der Erweiterungsrunde vor zehn
Jahren hat inzwischen abgenommen, viele sind zurück in ihrer Heimat.
Durch die Möglichkeiten des Schengen-Informationssystems können
Diebstähle schneller aufgeklärt werden, die Verfolgung über Grenzen
hinweg ist einfacher geworden.

Vor dem Beitritt haben osteuropäische Länder Ansprechpartner in
der EU gesucht, Österreich war nicht zuletzt aufgrund historischer
Erfahrungen und als nunmehr kleiner Staat dafür prädestiniert. In den
vergangenen zehn Jahren hat es Österreich verabsäumt, Allianzen mit
den neuen Staaten zu schmieden, sich stärker mit ihnen abzustimmen,
um auch ein Gegengewicht zu größeren Staaten zu bilden.

Wirtschaftlich wurden in Österreich die Möglichkeiten durch die
Ostöffnung sehr gut genutzt, politisch aber verschlafen. Feiern will
die Regierung zehn Jahre EU-Erweiterung schon gar nicht. Die
Politiker schweigen lieber über die positiven Effekte dieser
Entwicklung – aus Angst vor Populisten und Boulevardzeitungen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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