Neue OZ: Kommentar zu Türkei / Justiz / Musik / Leute

Anklage gegen kulturelle Modernität

In der Türkei sitzt jetzt nicht nur Fazil Say auf der Anklagebank.
Mit ihm steht vor Gericht, was der Pianist und Komponist verkörpert:
unabhängiges Urteil, kulturelle Modernität, Mut zur
Grenzüberschreitung. In den Augen einer konservativen Gesellschaft
ist missliebig, wer sich an eng gezogene Vorgaben nicht hält. Fazil
Say ist noch missliebiger. Er hat die seiner Ansicht nach
nationalistische und rückständige Kultur der türkischen
Mehrheitsgesellschaft rückhaltlos kritisiert und bloßgestellt. Das
wird ihm nicht verziehen.

Die türkische Justiz setzt nicht nur einen Künstler unter Druck,
sie geht auch gegen die freie Kommunikation mündiger Menschen vor,
für die Twitter mit den Revolutionen des Arabischen Frühlings zum
Symbol avancierte. Das lässt die Anklage in ihrer politischen
Dimension als bedenklich, weil gestrig erscheinen. Digitale
Kommunikation funktioniert schnell und vernetzt. Jeder Versuch, ihr
mit Sprachregelungen Fesseln anzulegen, wirkt unfreiwillig komisch.

Die Anklage gegen Fazil Say fordert nicht allein den weltläufigen
Künstler, sondern auch die türkische Gesellschaft heraus. Sie ist
aufgefordert, sich zur Meinungsfreiheit zu bekennen. Die Türkei
begehrt Einlass in die Staatengemeinschaft Europas. Der Umgang mit
Künstlern wie Fazil Say gerät dafür zum Testfall.

Pressekontakt:
Neue Osnabrücker Zeitung
Redaktion

Telefon: +49(0)541/310 207

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