DER STANDARD-Kommentar zur Plagiatsaffäre Schmitt: „Dabei sein war alles“ von Adelheid Wölfl

Viktor Orbán betonte zwar in den letzten Tagen, dass
„eindeutig niemand anderer als Pál Schmitt selbst über einen
Rücktritt entscheiden“ könne, doch der Satz konnte durchaus auch als
Aufforderung an den Präsidenten gelesen werden, die Verantwortung für
sein Missverhalten gefälligst selbst zu übernehmen. Und der
_“Pálgiator“ – wie Schmitt in Ungarn genannt wird – bekam natürlich
zu spüren, dass er der Regierungspartei Fidesz mit jedem Tag, den er
länger im Amt blieb, noch mehr schadete. Schmitt ist außerdem einer,
der während seiner gesamten beruflichen Laufbahn gelernt hat, dass
man ohne die Partei (welche auch immer – er machte schon unter den
Kommunisten Karriere) nichts wird und nichts bleiben kann.
Genau das führt aber zum Kern des Problems. Schmitt wurde – ähnlich
wie Ex-Präsident Wulff in Deutschland – wegen seiner Loyalität und
Anpassungsfähigkeit von _Fidesz unterstützt. Er selbst sagte, es sei
wohl nicht die Doktorarbeit, die ihn zum Präsidenten qualifizierte,
sondern „wahrscheinlich sonstige andere Qualitäten“. Welche, wollte
er offenbar selbst nicht so genau wissen. Dass Schmitt seine
Dissertation („Analyse des Programmes der Olympischen Spiele der
Neuzeit“) abgekupfert hat, ist für ihn persönlich peinlich. Dabei zu
sein war für ihn offenbar alles. Auch zum Preis der
Selbstverleugnung.
Das Verhalten der Uni, die die Dissertation mit „summa cum laude“
bewertete und Schmitt von jeglicher Schuld für die völlige Absenz
wissenschaftlicher Kriterien freisprach, zeigt, dass sich auch Eliten
in einem autoritären Reflex an den Mächtigen anbiedern. Der Versuch
der Regierung, die Verantwortung auf die Uni abzuwälzen, ist _- auch
dank der protestierenden Studenten – nicht geglückt, obwohl der
Rektor als Bauernopfer gehen musste. In Ungarn, mit einer der
ältesten universitären Traditionen in Europa, gibt es also eine
akademische Selbstkontrolle.
Viel grundsätzlicher muss man aber fragen, wie jemand, der politisch
und persönlich derartig abhängig ist, gleichzeitig den Mut, die
Autorität und Distanz zu anderen Mächtigen haben kann, um sein Land
nach innen und außen repräsentieren zu können. Schmitt ist nur das
Symptom. Sein Rücktritt ändert nichts daran, dass eine derart
mächtige Partei wie Fidesz keinen unabhängigen, starken Kandidaten
unterstützen wird. Die demokratiepolitisch spannende Frage ist nun,
ob die ungarische Gesellschaft einen solchen – wie in Deutschland –
einfordert.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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