DER STANDARD-KOMMENTAR „“Europa braucht Griechenland von Thomas Mayer

Spar- und Sanierungspaket, vor allem Vereinbarungen
zu einem Schuldennachlass durch private Gläubiger, welche
Premierminister Lukas Papademos in Athen präsentiert hat, sind
beachtlich. Das Taktieren der Parteichefs um Kürzungen von
staatlichen Zusatzpensionen bis zur letzten Minute kann daran nichts
ändern, auch wenn es dabei um „nur“ 300 Millionen Euro ging –
geradezu läppisch angesichts dutzender fehlender Milliarden im
Haushalt.
Aber Politiker oder Gewerkschaftsfunktionäre müssen eben immer auch
auf Wahltermine schielen. Das ist in Österreich nicht anders, wo das
Sparpaket der rot-schwarzen Regierung im Vergleich zu den Problemen
rund um die Ägäis sehr relativ erscheint; wo ein Fritz Neugebauer,
ein Erich Foglar auf Schmolldistanz gehen.
Daher sollte man sich hierzulande nicht überheblich empören über die
griechischen Verhältnisse und Versäumnisse. Viel wichtiger ist, dass
die Regierung in Athen jetzt zum ersten Mal seit der drohenden Pleite
im Mai 2010 erkennen lässt, dass sie es ernst meint mit der Absicht,
das Land beherzt aus dem Jammertal zu führen.
Ein Beispiel: Das Land mit 10 Millionen Einwohnern hat rund eine
Million Beamte, den Sicherheitsapparat eingerechnet. Ein Wahnsinn.
Aber: Papademos will bis 2015 nicht weniger als 150.000
(überflüssige) Staatsposten einsparen. Solches würde auch in
Österreich vermutlich zu Aufständen führen.
Zu glauben, dass dieses (vorläufig nur angekündigte) Programm bereits
einen Wendepunkt bedeutet, und auch den (sicheren) Verbleib im
Euroraum, wäre freilich ein schwerer Denkfehler. Griechenland hat
seit dem EU-Beitritt 1981 die industrielle Basis seiner Wirtschaft
und damit die Exporte „vernichtet“ – durch üppige EU-Subventionen und
ab Euro-Einführung 2004 durch viel zu billige Kredite im Vergleich
zur Wirtschaftskraft. Das stellt in einem berührend
offen-aufrichtigen Interview mit der FAZ nicht ein böser
Eurofunktionär fest, sondern der griechische Wirtschaftsminister
Michalis Chrysochoidis, ein Sozialist. Die Griechen hätten leider
viel zu viel in den Konsum gesteckt statt in Produktivität.
Genau das muss Griechenland (wie auch Portugal) jetzt umkehren, was
extrem schwierig und langwierig sein wird. Ohne die Hilfe der Partner
in der Europäischen Union wird ihm das nicht gelingen können. Sparen
und Entschulden ist das eine. Aber um lebens- und zukunftsfähig zu
sein, braucht Griechenland dringend Vertrauen und Investitionen – ob
es Mitglied der Eurozone bleibt oder nicht. Die Lage unterscheidet
sich da gar nicht so sehr von jener Ostdeutschlands nach der
Wiedervereinigung.
Wie damals gilt nun in Europa: Vor allem Deutschland wird helfen
müssen – durch Kredite, später vermutlich durch gemeinsame
Euroanleihen oder gar durch Transferzahlungen. Die anderen Länder
würden (müssten?) folgen. Aber noch ist die deutsche Regierung, ist
Kanzlerin Angela Merkel nicht so weit, ihrer Bevölkerung dazu reinen
Wein einzuschenken.
Was auch damit zu tun hat, dass es Berlin schwerfällt, seine
Europapolitik stärker geo- und sicherheitspolitisch zu sehen. Der
Blick auf die Landkarte genügt, um zu erkennen, warum die Union
Griechenland so bald nicht fallenlassen, in soziale Unruhen abdriften
lassen wird: Seine Nachbarn am Mittelmeer heißen Libyen, Ägypten,
Türkei, Syrien. Ein instabiles Griechenland kann die EU nicht
brauchen.

Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70 DW 445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

Sie muessen eingeloggt sein um einen Kommentar zu schreiben Einloggen