Es gibt Reden großer Menschen, die man sein Leben
lang nicht vergisst. Eine solche hat Francois Mitterrand 1995 im
EU-Parlament in Straßburg gehalten. Von einer Krebserkrankung schwer
gezeichnet, erzählte der französische Präsident sein Leben, von
Erfahrungen mit den Deutschen, vom Krieg, vom Leid der Menschen, von
Aussöhnung. Er beendete sie mit dem Satz: „Nationalismus, das ist
Krieg!“ Dann ging er. Nicht wenigen Zuhörern im Plenum liefen die
Tränen über das Gesicht. Monate später war Mitterrand tot, seine Rede
ein Vermächtnis.
Nun hat Marcel Reich-Ranicki eine Schlüsselrede gehalten, im
Bundestag, am Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz. Der aus Polen
stammende Literaturkritiker erzählte in einfachen Worten, was er am
22. Juli 1942 im Warschauer Ghetto als Übersetzer erlebte. Es war der
Tag, an dem SS-Sturmbannführer Höfle (ein Österreicher) die
Deportation hunderttausender Juden nach Treblinka anordnete. Er
schloss mit den Worten: Die „Umsiedlung“ hatte „nur ein Ziel, sie
hatte nur einen Zweck: den Tod“.
Da blieb es ewig lange still unter den Abgeordneten. Über Europa,
neuen Nationalismus, Eurokrise, den Sinn von Solidarität verlor
Reich-Ranicki kein Wort. Dennoch: So eindringlich hat schon lange
keiner mehr erklärt, was wir an Europa haben, dass Geschichte lebt.
Deutsches Auftrumpfen über andere Nationen braucht niemand. Gefragt
ist deutsche (und österreichische) Verantwortung.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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