Neue LfM-Studie zu Chancen und Risiken von Computerspielen: Machen PC-Spiele abhängig? Und welche Kompetenzen vermitteln sie?

Studie zum Thema „Kompetenzerwerb, exzessive
Nutzung und Abhängigkeitsverhalten. Chancen und problematische
Aspekte von Computerspielen aus medienpädagogischer Perspektive“
wurde bei der LfM-Fachtagung am 16. Februar vorgestellt.

Computerspiele werden in Deutschland nur zu einem ganz kleinen
Teil von Spielern exzessiv genutzt; die meisten Spieler zeigen ein
eher unauffälliges Spielverhalten. 0,9 Prozent der computerspielenden
Bevölkerung gelten einer Repräsentativerhebung zufolge als gefährdet,
0,5 Prozent als „abhängig“. Doch auch wenn diese Anteile gering
ausfallen, sind Beratungsangebote für problematisches Spielverhalten
und die präventive Förderung von Medienkompetenz notwendig. Eine
Sogwirkung geht insbesondere von onlinebasierten Spielen aus, in
denen der Spieler ein Teil einer Gemeinschaft ist, um die Spielziele
zu erreichen. In den Fällen, in denen es zu einer zeitlich exzessiven
Computerspielnutzung mit problematischen Auswirkungen auf andere
Lebensbereiche kommt, wirken Merkmale von Spieler, Spiel und
Spielkontext zusammen. So kann es beispielsweise in biografischen
Übergangsphasen oder bei persönlichen Problemen zu besonders
intensivem Spielen kommen.

Dies sind einige zentrale Ergebnisse der neuen Studie der
Landesanstalt für Medien NRW (LfM). Darin werden u. a. auch
Möglichkeiten für eine selbstbestimmte und kompetente
Computerspielnutzung vorgestellt.

Der Studie liegt eine repräsentative Befragung unter
Computerspielern zugrunde, durchgeführt vom Hans-Bredow-Institut für
Medienforschung Hamburg gemeinsam mit dem Institut für
Medienforschung und Medienpädagogik der Fachhochschule Köln. Danach
verbringen Personen ab 14 Jahren durchschnittlich etwa 6,25 Stunden
pro Woche mit Computerspielen, 17 Prozent von ihnen lassen sich als
„extensive Spieler“ bezeichnen, die im Durchschnitt mehr als 90
Minuten pro Tag mit Computerspielen verbringen. Unter ihnen sind
Männer sowie Jugendliche und junge Erwachsene (14 bis 29 Jahre)
überproportional vertreten. Zudem wurden in der Studie exemplarische
Spielanalysen und ausführliche Interviews mit Computerspielern sowie
Experten aus der Beratungspraxis durchgeführt.

Computerspiele sind eine beliebte Freizeitbeschäftigung für viele
Jugendliche und eine wachsende Zahl von Erwachsenen. In oft sehr
komplexen digitalen Welten müssen Spieler viel Zeit und manchmal auch
Geld investieren, um weiterzukommen. Das Spiel wird zum Bestandteil
des Alltags, die Bindung an die Spielfigur und der Ehrgeiz
weiterzukommen, wachsen. So kann man im Online-Rollenspiel „World of
Warcraft“ mit Mitspielern eine Gruppe bilden und gemeinsam
Herausforderungen meistern. Beim Spiel „Farmville“ geht es hingegen
um den Aufbau eines virtuellen Bauernhofs. Die „Farmer“ tauschen dazu
untereinander digitale Güter wie Tiere und Pflanzen aus.

Suchtpotential oder Entwarnung: Versachlichung der Debatte

LfM-Direktor Dr. Jürgen Brautmeier sagte: „Wir sind in Deutschland
schnell mit polarisierenden Begriffen wie `Sucht´ bei der Hand.
Unsere Studie sorgt für eine dringend nötige Versachlichung der
Debatte, ohne dass wir Gefahren von PC-Spielen verharmlosen.
Pädagogen und Eltern, die in der Welt der digitalen Spiele nicht zu
Hause sind, bekommen Antworten auf Fragen wie `Was macht mein Kind da
eigentlich, lernt es dabei etwas, wie schnell macht ein Spiel
abhängig und fördert es am Ende sogar aggressives Verhalten?´ Eltern
und Erzieher können mit der neuen Studie sachgerecht zum Thema
Computerspiele arbeiten und Aufklärungsarbeit leisten.“

Hinsichtlich der exzessiv-problematischen Nutzung betont Prof. Dr.
Uwe Hasebrink, Direktor des Hans-Bredow-Instituts: „Ein
Computerspiel, das grundsätzlich abhängig macht, gibt es nicht.
Entscheidend ist vielmehr, wie zeitliche Anforderungen eines Spiels
mit den Zeitstrukturen des eigenen Alltags in Einklang gebracht
werden können.“

Persönliche Lebenssituation und soziales Umfeld wichtig

Wenn es zu einer zeitlich exzessiven Computerspielnutzung mit
problematischen Auswirkungen kommt, hat das auch immer mit der
persönlichen Situation des Spielers und seinem sozialen Umfeld zu
tun. Gefährdet sind daher besonders Jugendliche ohne stabiles
soziales Umfeld. Fallen Halt und Anerkennung durch Familie und
Freunde weg, wird nach einem Ausgleich in den virtuellen Welten
gesucht. Beliebt sind vor allem Spiele, deren besonderer Reiz durch
die Kommunikation und den Austausch mit anderen Spielern entsteht.
Problematisch wird es, wenn der virtuelle Freundeskreis den Kontakt
zur realen Welt ersetzt. Wer in Familie, Schule oder der
Ausbildungsstelle Außenseiter ist, tendiert eher dazu, diese sozialen
Misserfolge durch übermäßiges Computerspielen auszugleichen.

Aussagen zu positiven Potentialen von Spielen

Neben den möglichen Risiken untersuchte die Studie auch die
positiven Potenziale von Computerspielen. Um die Spielanforderungen
bewältigen und Spielziele erreichen zu können, benötigen
Computerspieler vielfältige Fertigkeiten, die auch in anderen
Situationen nützlich werden können. Die Reaktionsfähigkeit bei
Geschicklichkeitsspielen, das Bewältigen komplexer
Entscheidungssituationen in Strategiespielen und die Organisation des
sozialen Miteinanders in Onlinespielen sind Beispiele für solche
Kompetenzen. Für die meisten Computerspieler geht es bei ihrem Hobby
aber nicht um die Förderung von Kompetenzen, sondern um Unterhaltung,
Spaß und den Kontakt mit Freunden.

Wie für ein anderes Hobby gilt auch für das Computerspielen:
Eltern sollten ihre Kinder dabei nicht alleine lassen, sondern sich
damit auseinandersetzen. Dies setzt auch ein Verständnis für die
Mechanismen der komplexen digitalen Spiele voraus. Mitverfasser Prof.
Dr. Jürgen Fritz von der FH Köln fordert: „Die Spielehersteller
müssen die Bindungsfaktoren der Spiele transparenter machen, also
erklären, was die Anziehungskraft eines Spieles ausmacht. Es sollte
zudem mehr Angebote geben, die Eltern in die Lage versetzen, die
Computerspielnutzung ihrer Kinder besser einschätzen und begleiten zu
können. Nur dann können die Potenziale von Computerspielen wirklich
ausgeschöpft werden.“

Die Studienergebnisse wurden im Rahmen der
Computerspiele-Fachtagung der LfM am 16. Februar in Düsseldorf
vorgestellt. Ein Bericht zur Tagung und eine Fotodokumentation sind
kurzfristig auf www.lfm-nrw.de abrufbar. Die Ergebnisse sind in Form
von drei Publikationen aufbereitet worden: Neben der Hauptstudie (Bd.
66 der LfM- Schriftenreihe Medienforschung) sind zudem das der Studie
zugrunde gelegte theoretische Konzept sowie die umfangreichen
Fallanalysen (Spielerportraits) publiziert worden (ebenfalls in der
LfM- Schriftenreihe Medienforschung, als Bände 67 und 68).

Antworten der Autoren der Studie auf häufige Fragen von Eltern zum
Spielverhalten können Sie unter www.lfm-nrw.de nachlesen. Eine
Zusammenfassung der Studie finden Sie ebenfalls unter www.lfm-nrw.de

Hinweis:

Die LfM fördert sog. Elternabende; im Jahr 2010 allein 650 mal an
Schulen in Nordrhein-Westfalen. Im Rahmen dieses kostenlosen
Angebotes klären speziell qualifizierte Referenten über Chancen und
Risiken von PC-Spielen sowie über das Internet auf. Infos unter:
www.elternundmedien.de

Bibliografische Angaben:

Jürgen Fritz, Claudia Lampert, Jan-Hinrik Schmidt, Tanja Witting
(Hrsg.): Kompetenzen und exzessive Nutzung bei Computerspielern:
Gefordert, gefördert, gefährdet. Berlin (Vistas) 2011. Schriftenreihe
Medienforschung der Landesanstalt für Medien NRW (LfM), Band 66. ISBN
978-3-89158-546-7

Jürgen Fritz: Wie Computerspieler ins Spiel kommen. Theorien und
Modelle zur Nutzung und Wirkung virtueller Spielwelten. Berlin
(Vistas) 2011. Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für
Medien NRW (LfM), Band 67. ISBN 978-3-89158-547-4

Jürgen Fritz, Wiebke Rohde: Mit Computerspielern ins Spiel kommen.
Dokumentation von Fallanalysen. Berlin (Vistas) 2011. Schriftenreihe
Medienforschung der Landesanstalt für Medien NRW (LfM), Band 68. ISBN
978-3-89158-548-1

Kontakt bei Rückfragen:
Dr. Peter Widlok, Telefon (0211) – 7 70 07 – 1 41
E-Mail: pwidlok@lfm-nrw.de
Die LfM im Internet: www.lfm-nrw.de

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