WAZ: Er war der Dichter der Republik – Jens Dirksen zum Tod von Günter Grass

Günter Grass war der letzte seiner Art: Ein
fabelhafter, saftiger Erzähler, der gleich nach dem Bestseller-Erfolg
mit seiner „Blechtrommel“ begann, an den Reden von Willy Brandt zu
feilen, als der noch längst nicht Bundeskanzler war.

Mit Grass hat die Republik den letzten politischen Unruhe- und
Diskussionsstifter unter ihren Schriftstellern verloren. Ein Moralist
und publizistischer Gigant, der wusste, wie man Schlagzeilen
schreibt, und herüberragte aus der alten Bundesrepublik: unser Grass.

Schon deshalb wird dieser in der Wolle gefärbte Demokrat fehlen,
vielleicht sogar seinen Gegnern. Selbst sie hatten in der
Auseinandersetzung mit Grass die Gelegenheit, ihre Argumente zu
schärfen – was ja nur bei Kontrahenten von Format gelingt.

Es war aber auch die Republik, die dem Autor Grass die Chance gab,
zur Instanz zu werden. Eine Republik, deren politisches Personal von
Idealen und Werten geleitet war und von Denkern dabei beraten werden
wollte, wie man sie ins Tagesgeschäft umsetzt. Das aber besteht heute
fast nur noch aus schnellen Reflexen. Auf Gedanken der Dichter mag da
niemand mehr hören.

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Westdeutsche Allgemeine Zeitung
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