DER STANDARD-Kommentar: „Nachbarn ohne Nachbarschaft“ von Adelheid Wölfl

Die EU muss eine Pause bei der Erweiterung machen“,
schrieb EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker jüngst in seiner
Leitlinie. Das ist keine Überraschung, zumal jeder weiß, dass es in
den nächsten fünf Jahren keine Beitritte geben kann, weil die
Staaten, die Verhandlungen führen – Montenegro und Serbien – noch
lange nicht so weit sein werden. Trotzdem ist die Hintansetzung des
Portfolios „Erweiterung“ nach der „Nachbarschaftspolitik“ ein
politisches Signal, insbesondere weil die EU-Kommission in den
vergangenen Jahren einer der wenigen Akteure war, die sich überhaupt
noch für die Erweiterung einsetzten.

Auch dass der Österreicher Johannes Hahn die Agenda Erweiterung
bekommen hat, ist bezeichnend. Österreich gilt in der EU als einer
der letzten Mohikaner, die sich noch für das Thema starkmachen –
unter anderem natürlich wegen der Wirtschaftsinteressen auf dem
Balkan. Allein, als kleines Österreich, kann man aber natürlich
nichts ausrichten.

Selbstverständlich ist die Ukraine-Krise brennender als
Demokratie-Defizite in Mazedonien, doch es scheint, als sei man jetzt
besser dran, wenn man der EU als Nachbar gilt (Ukraine und Moldau),
denn als mögliches Mitglied. Die Südosteuropäer werden so zu Nachbarn
außerhalb der nachbarschaftlichen Interessen der EU. „Im Moment habe
ich keinen Kopf für die Erweiterung“, sagte Juncker 2012. Das
„Versprechen von Thessaloniki“ 2003, also die Aufnahme der
Nachfolgestaaten Jugoslawiens plus Albanien, galt bereits damals als
gestorben.

In Südosteuropa meinen nun einige, dass Juncker wenigstens ehrlich
ist und nicht mehr „so tut als ob“. Tatsächlich ist die EU-Kommission
mit ihrer Strategie – der sogenannten Konditionalitätspolitik –
zuletzt in der Region gescheitert. Reformen blieben aus, politische
Blockaden bestehen. Und es gibt keine neue Strategie, zumal die
meisten EU-Länder die südosteuropäischen Staaten gar nicht aufnehmen
wollen, solange diese wirtschaftlich so dahindümpeln.

Das erscheint logisch, was aber völlig fehlt, ist eine ökonomische
Strategie, die man etwa aus den Erfahrungen anderer erfolgreicher
Transitionsstaaten in Osteuropa entwickeln könnte, Rechtsreformen,
ein Weg hinaus aus der Katastrophe. Die Erweiterung mag auf Eis sein,
aber ohne Wirtschaftsentwicklung wird die Region zusehends instabiler
werden.

Und das hat Auswirkungen auf EU-Europa. Es ist auch ein Irrtum zu
glauben, dass die Politik der „strategischen Geduld“ (Deutschland)
etwas auf dem Balkan verbessern wird. Während alle warten, verstärken
sich die negativen Tendenzen. „Die wollen uns ohnehin nicht“, denkt
man vor Ort. Und die politischen Eliten verhalten sich entsprechend.
Manche Regierungen werden autoritärer. Der Ethno-Nationalismus bleibt
der entscheidende Faktor der Tagespolitik. Staaten werden dadurch
instabiler. Junge, gebildete Leute versuchen in die EU zu kommen, die
anderen verarmen noch mehr. Leben heißt nur Überleben. Jobs bekommt
man über Parteien oder Beziehungen. Der Klientelismus wächst. Wählen
macht keinen Sinn und so weiter Wenn man über Erweiterung spricht,
geht es nicht nur um das Leben von Millionen Europäern, deren Chancen
unfassbar viel schlechter sind als unsere, also um Gerechtigkeit. Es
geht auch darum, ob Europa einmal wirklich vereint sein wird, und
darum, ob wir Quasikandidaten auch als Nachbarn behandeln wollen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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