Michael Spindelegger hat mit seinem Rückzug sich und
seiner Partei einen Dienst erwiesen und einen Weckruf erteilt. Mit
seinem letzten Auftritt hat er erreicht, was ihm als Minister und
Parteiobmann nie gelungen ist: sich Respekt zu verschaffen und zu
überraschen.
Er war innerhalb von sieben Jahren der dritte Obmann der ÖVP, der
nicht wegen des politischen Gegners, sondern wegen der Parteifreunde
und der innerparteilichen Strukturen aufgibt. Einiges an dem Unmut,
der Spindelegger in den vergangenen Monaten entgegengebrandet ist,
hat er selbst zu verantworten: Vor allem seine starre Haltung in der
Bildungspolitik und bei der Steuerreform hat bewirkt, seine Partei
als Blockiererpartie wahrzunehmen.
Letztlich ist Spindelegger an der Bündestruktur und den
Landeshauptleuten gescheitert. Bis auf den Niederösterreicher Erwin
Pröll, der ihn in die Position gehievt hatte, hatte er keinen
Rückhalt mehr. „Lame Duck“ war noch die freundlichste Bezeichnung,
die man von ÖVP-Spitzenpolitikern zuletzt zu hören bekam. Bei der
Feier des Paneuropa-Picknicks vergangenen Donnerstag ließ sich ein
Minister nach dem anderen entschuldigen. Die Landeshauptleute aus dem
Westen (inklusive Oberösterreich) watschten ihren Obmann in
Interviews der Reihe nach ab, sodass man sich des Eindrucks einer
koordinierten Aktion nicht erwehren konnte.
Wenn die Landeshauptleute in der ÖVP weiter für sich in Anspruch
nehmen, das Sagen in der Frage zu haben, wo es im Bund langgeht, dann
wird der nächste Obmann genauso rasch scheitern. Denn sie sind die
wahren Regenten in der ÖVP. Hinzu kommt noch die Bündestruktur, die
bewirkt, dass nicht unbedingt die besten Personen zum Zug kommen,
sondern zuallererst die Ansprüche der Bünde befriedigt werden.
Für die ÖVP und die Koalition ist der Schritt Spindeleggers aber
auch eine Chance. Es geht nicht nur um Personen, sondern auch um
Positionen: Bei der Steuerreform wird sich der Juniorpartner in der
Regierung bewegen müssen, zumal auch ÖVP-Wähler der Forderung, Reiche
müssten mehr beitragen und untere Einkommensgruppen entlastet werden,
etwas abgewinnen können. Es wird sich auch die SPÖ bewegen und von
ihrer klassenkämpferischen Rhetorik Abstand nehmen müssen. Es ist
Zeit, in der Koalition ungewöhnliche Ideen zu diskutieren – wie jene
von AMS-Chef Johannes Kopf, der im Standard ein neues Modell zur
Lebenseinkommenskurve vorgestellt hat, mit dem Ziel, mehr Älteren
Beschäftigung zu ermöglichen.
Es ist notwendig, auch in der Bildungspolitik die wechselseitige
Blockade zu beenden. Die Neos sind für die ÖVP nicht nur wegen ihrer
bildungspolitischen Positionen eine ernstzunehmende Konkurrenz. Sie
sind auch ein Alternative für jene, denen liberale Standpunkte bei
der Spindelegger-ÖVP gefehlt haben.
Die SPÖ kann sich bei Spindelegger bedanken, weil sein Rücktritt
die parteiinterne Kritik an den eigenen Personalrochaden in den
Hintergrund drängt. Grund zur Schadenfreude besteht nicht: Die SPÖ
steht personell und inhaltlich nicht besser da.
Bei der vergangenen Wahl haben SPÖ und ÖVP zusammen noch 51
Prozent bekommen. Durch ihre eigene Politikblockade schaffen sie laut
Umfragen bei einer Wahl keine Mehrheit mehr. Nutzen sie die sich
durch Spindeleggers Rücktritt eröffnende Chance nicht, heißt das
früher oder später: Wahlgewinner ist Heinz-Christian Straches FPÖ.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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