Es hat kaum eine wirksame Entnazifizierung in den
Zeitungsredaktionen und Verlagen in Schleswig-Holstein gegeben.
Außerdem haben es die Zeitungen im nördlichsten Bundesland nach
Recherchen des NDR Medienmagazins ZAPP bis heute versäumt, sich mit
dem Thema umfassend – und vor allem in ihrem jeweiligen Medium –
auseinanderzusetzen. Nach Aussagen des Zeitzeugen Hans-Gerd Warmann,
ehemaliger Zeitungsredakteur in Schleswig-Holstein, war die
Entnazifizierung in der Presse im Norden nach 1945 schlicht „ein
Witz“. Belastete Journalisten arbeiteten schnell wieder in ihren
alten Redaktionen – Historiker sprechen von ca. 75 Prozent. Die
Redakteure entschuldigten sich oft gegenseitig und bildeten schnell
wieder Netzwerke, die eine Aufarbeitung ihrer Schuld nahezu unmöglich
machten. In manchen Redaktionen wurden junge Kollegen schon beim Gang
ins Archiv misstrauisch beobachtet, Fragen nach der Vergangenheit
waren lange tabu.
Während nun in einigen Bundesländern über die Verstrickung der
ersten Parlamentarier in das Nazi-Regime gesprochen wird, bleibt die
Rolle der eigentlichen „Aufklärer“, der Journalisten, weiter
unterbelichtet. Markus Oddey, ein junger Historiker aus
Schleswig-Holstein, hat die Aktivitäten von 100 Journalisten und
Verlegern untersucht. Er erforschte u. a. die Rolle von Curt
Heinrich, dem Verleger der „Kieler Nachrichten“. Heinrich trat
bereits 1931 der NSDAP bei und trat in den frühen Jahren durch
Propagandaartikel für Hitler hervor. Später versuchte er seine
Zeitung auch mit Hilfe seiner guten Beziehungen zu den Machthabern
durch die Nazizeit zu manövrieren. 1951 erlangte er seinen Verlag
vollständig zurück. Der ehemalige Kieler Gauleiter Hinrich Lohse
bezog wohl noch Jahre nach dem Krieg eine finanzielle Apanage des
Verlages – offenbar weil er „in der NS-Zeit seine Kraft uneigennützig
in die Dienste der Zeitung gestellt“ habe. Dies geht aus einem
Schreiben Lohses an den Kieler Zeitungsverlag hervor, das ZAPP
vorliegt. Ein aktuelles Interview mit ZAPP zu dem Thema lehnten die
„Kieler Nachrichten“ ab. Die Geschäftsführung verwies stattdessen
auf zwei wissenschaftliche Publikationen zur Pressegeschichte, die
der Verlag unterstützt habe. Darüber hinaus sehe man keine
Notwendigkeit einer zusätzlichen Stellungnahme.
Auch bei den „Schleswiger Nachrichten“ gab es mit dem ehemaligen
Hauptschriftleiter Fritz Michel einen überzeugten
Nationalsozialisten. Michel öffnete übler Hetze in der Presse Tür und
Tor und ging 1941 mit Gauleiter Lohse nach Riga. Lohse war dort an
der Judenvernichtung beteiligt – Michel machte Propaganda. Schon 1949
kehrte er auf seinen alten Posten in der Zeitung zurück. Zum Eintritt
in den Ruhestand 1965 stand in den „Schleswiger Nachrichten“ kein
kritisches Wort der Journalisten zur politischen Vergangenheit ihres
Kollegen. Falk Ritter von der Gesellschaft für Schleswiger
Stadtgeschichte: „Das wurde völlig ausgeblendet in diesem Artikel.
Und das war typisch für diese Zeit.“ Erst 1995 erschien ein erster
kritischer Text in der Zeitung, der Michels Rolle bei der
Bücherverbrennung im Norden thematisierte. Stephan Richter, Sprecher
der Chefredaktion des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages, zu
dem die „Schleswiger Nachrichten“ seit 1987 gehören: „Es ist einfach,
mit dem Finger auf andere zu zeigen – in der Politik, in der
Wirtschaft, in der Kultur – und nicht die kritischen Fragen auch an
sich selbst zu stellen. Insofern hätte es den Medien gut getan, wenn
sie mit gutem Beispiel vorangegangen wären. Nun müssen wir wenigstens
die Nachhut bilden.“
Den Fernseh-Beitrag dazu sendet ZAPP am Mittwoch um 23.20 Uhr im
NDR Fernsehen. Weitergehende Informationen und Interviews ab Mittwoch
unter www.NDR.de/zapp.
Zapp wird dem Thema „Aufarbeitung der Vergangenheit von
Journalisten“ auch in den anderen norddeutschen Bundesländern in
weiteren Sendungen nachgehen.
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Ralph Coleman
Tel: 040-4156-2302
http://www.ndr.de
https://twitter.com/ndr
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